SG Oldenburg

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Zitieren als:
SG Oldenburg, Urteil vom 27.03.2007 - S 36 EG 6/06 - asyl.net: M10348
https://www.asyl.net/rsdb/M10348
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Erziehungsgeld, Bundeserziehungsgeldgesetz, Verfassungsmäßigkeit, Abänderungsantrag, sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, Nebenpflichten, Beratungspflicht, Ruhen des Verfahrens
Normen: BErzGG § 1 Abs. 6; SGB X § 44
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2006 ist rechtswidrig. Durch ihn ist die Klägerin beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn sie hat unter Aufhebung des Bescheides vom 21. April 2005 auch für das erste Lebensjahr ihres Kindes ... einen Anspruch auf Erziehungsgeld.

Die Klage ist im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut. Er ist auf die Vornahme der notwendigen Amtshandlungen zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (BSGE 46, 124 m.w.N. für die ständige Rechtsprechung des BSG). Voraussetzung für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist stets das Bestehen eines Schadens. Dieser muss durch ein Verhalten - Tun oder Unterlassen - des Sozialleistungsträgers wesentlich verursacht worden sein, d.h. das Verhalten des Sozialleistungsträgers in Form einer Betreuungspflichtverletzung muss rechtlich wesentliche Nachteilsursache geworden sein, meist in der Weise, dass es den Betreffenden zu einer ihm nachteiligen Disposition veranlasst hat. Ein Verschulden ist - anders als im zivilen Schadensersatzrecht - in der Regel nicht erforderlich. Vom Ziel her ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht primär auf einen Schadensersatz zivilrechtlicher Art gerichtet, insbesondere nicht unmittelbar auf eine Geldleistung. Vielmehr soll der Rechtsfolgezustand hergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der Sozialleistungsträger sich pflichtgemäß verhalten hätte, z.B. seiner Beratungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre.

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 21. April 2005. Der Beklagte hätte zu diesem Zeitpunkt Anlass gehabt, auf den Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit vom 04. Februar 2005 (304-43 181-45/03) hinzuweisen. Dieser Erlass regelt, wie im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Juli 2004 noch nicht abgeschlossene Verfahren zu behandeln sind. Wäre die Klägerin auf diesen Erlass hingewiesen worden, hätte sie den Bescheid vom 21. April 2005 angefochten und gleichzeitig das Ruhen des Verfahrens bis zum Erlass einer gesetzlichen Neuregelung beantragt. Der Beklagte hätte Veranlassung gehabt, in seinem Bescheid vom 21. April 2005 auf die neue Erlasslage hinzuweisen, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass ihm die Problematik betreffend die Durchführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in Verbindung mit der Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Juli 2004 gerade auch im Bezug auf die Person der Klägerin bewusst sein musste. Der Klage ist daher stattzugeben.