VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 08.12.2006 - 24 CS 06.2260 - asyl.net: M10316
https://www.asyl.net/rsdb/M10316
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Fortgeltungsfiktion, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sperrwirkung, Wirkungen der Ausweisung, Ermessensausweisung, Falschangaben, Strafurteil, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Kleinkinder, deutsche Kinder, Kindeswohl, Vaterschaftsanerkennung, Wirksamkeit
Normen: AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 81 Abs. 4; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

a) Die gegen die Versagung und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage des Antragstellers hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Allerdings hat der Antragsteller rechtzeitig vor Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung beantragt, so dass der Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG auslöste; danach gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Gegen den Verlust der mit der Antragsablehnung vom 12. Juli 2005 endenden verfahrensrechtlichen Fiktion kann der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nehmen (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, RdNr. 33 zu § 81 AufenthG). Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist insoweit auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und auf die Aussetzung der Vollziehung der Ausreisepflicht gerichtet.

b) Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen, aber auch allein möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers in der Hauptsache offen sind und sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Maßnahmen überwiegt.

Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lässt eine gegen die Ausweisung erhobene Anfechtungsklage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss ist die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Antragstellers nach summarischer Prüfung noch ungeklärt; Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung mit der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, wonach einem ausgewiesenen Ausländer kein Aufenthaltstitel erteilt wird, auch im vorliegenden Verfahren des Rechtsschutzes gegen den Sofortvollzug der Versagung der Aufenthaltserlaubnis zu prüfen.

Die Antragsgegnerin stützt die Ausweisung des Antragstellers auf § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG. Die Antragsgegnerin geht zu Recht davon aus, dass die unwahren Angaben des Antragstellers zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung, die zur Verurteilung des Antragstellers gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG führten, einschlägige Verstöße im Sinne des § 55 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG darstellen. Die Ausweisung des Antragstellers steht gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG im Ermessen der Behörde; bei der Entscheidung sind nach § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG insbesondere auch zu berücksichtigen die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben. Im vorliegenden Fall erscheint die Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf die von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützte Vater-Kind-Beziehung noch überprüfungsbedürftig.

Zum für die gerichtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung - hier am 12. Juli 2005 - existierte das Kind des Antragstellers noch nicht und konnte demgemäß auch noch keine Berücksichtigung finden. Jedoch ist zumindest für die Prüfung, ob sich eine Ausweisung im Lichte des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig darstellt, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. BayVGH vom 13.3.2006 ZAR 2006, 147/148; BayVGH vom 15.3.2005 Az. 24 B 04.2005). Demgemäß muss das am 1. Juni 2006 geborene Kind nunmehr berücksichtigt werden. Das Recht auf Achtung des Familienlebens und der Schutz einer Eltern-Kind-Beziehung nach Art. 8 Abs. 1 EMRK entspricht im wesentlichen dem sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Schutz.

Nach den eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und der Kindsmutter vom 28. und 29. Juni 2006 leben diese etwa seit der Geburt des Kindes beim Antragsteller zusammen und der Antragsteller kümmert sich "nach Kräften um das Kind". Ferner streben sie - vorbehaltlich der eingeleiteten Scheidung der Kindsmutter von ihrem Ehemann - das gemeinsame Sorgerecht an und der Antragsteller ist nach der Urkunde des Standesamts vom 28. Juni 2006 zur Anerkennung der Vaterschaft bereit.

Im vorliegenden Verfahren kann dem Antragsteller auch nicht entgegengehalten werden, die Vaterschaftsanerkennung sei noch nicht rechtswirksam. Auch wenn die Wirkungen dieser Anerkennung erst mit der Scheidung der Kindsmutter von ihrem bisherigen deutschen Ehemann eintreten können, hat der Antragsteller doch das ihm Mögliche für die Anerkennung getan. Ebenso wenig kann dem Antragsteller vorgehalten werden, dass das Kind wegen des deutschen Ehemanns der Kindsmutter, der bislang nach dem Gesetz noch als Vater gilt, einen deutschen Kinderausweis erhielt.

Der Senat geht somit im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO davon aus, dass die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Ausweisung noch offen sind und damit auch eine andere Beurteilung seines Begehrens einer Aufenthaltserlaubnis möglich wäre.

Bei der Interessenabwägung ist im übrigen mit Blick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung zwar zu berücksichtigen, dass der Antragsteller wegen eines einschlägigen ausländerrechtlichen Vergehens strafrechtlich belangt wurde und deshalb sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe für die Ausweisung ins Feld geführt werden können. Andererseits allerdings reichen die zur Verurteilung führenden unwahren Angaben des Antragstellers bereits ins Jahr 2003 bzw. 2004 zurück; seither ist der Antragsteller offenbar nicht mehr straffällig geworden. Zudem liegt die Verurteilung mit 90 Tagessätzen zwar über der Geringfügigkeitsgrenze, stellt aber doch eine relativ geringe Strafe dar. Eine Abschiebung des Antragstellers nach Vietnam vor der Entscheidung des Hauptsacheverfahrens hätte erhebliche Auswirkungen. Zum einen würde der persönliche Kontakt zu seinem Kind abgebrochen; bei einem erst wenige Monate alten Kind besteht nicht die Möglichkeit, diesen Kontakt brieflich oder telefonisch vorübergehend aufrecht zu erhalten und zu pflegen; auch Besuche aus dem Ausland dürften wegen der Entfernung Vietnams ausscheiden. Zudem wären auch finanzielle Nachteile für das Kind und seine Versorgung denkbar. Es wären deshalb massive Beeinträchtigungen, wenn nicht gar eine nachhaltige Zerstörung der - im vorliegenden Verfahren zumindest vorläufig zu unterstellenden - Vater-Kind-Beziehung zu befürchten. Daher ist ein Übergewicht des öffentlichen Interesses an der baldigen Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers gegenüber seinem Interesse, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage in der Bundesrepublik und bei seinem Kind mit der Kindsmutter bleiben zu können, nicht zu erkennen. Den Interessen des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage ist deshalb der Vorrang einzuräumen.