VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 11.01.2007 - 13a ZB 06.30907 - asyl.net: M10248
https://www.asyl.net/rsdb/M10248
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, allgemeine Gefahr, Genfer Flüchtlingskonvention, Wegfall-der-Umstände-Klausel, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Abschiebungsstopp, Erlasslage
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; GFK Art. 1 C Nr. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. September 2006 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1, 2, Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Der Kläger wirft sinngemäß die Frage auf, ob § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (Wegfall der Voraussetzungen) im Lichte des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in der Interpretation durch den UNHCR auszulegen ist und es nicht allein auf den dauerhaften politischen Systemwechsel und den Wegfall der früheren politischen Verfolgung, sondern auch auf stabile Verhältnisse im Sinn eines effektiven Schutzes durch Polizei und Justiz sowie auf eine ausreichende Infrastruktur und ein Recht auf eine Existenzgrundlage im Herkunftsland ankommt (s. UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 - "Wegfall der Umstände"-Klausel, NVwZ-Beilage Nr. I 8/2003). Diese Frage ist in Ansehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht klärungsbedürftig. Nach dem zum Problemkreis des Irak ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 2004 (BVerwG 1 C 22.03 NVwZ 2005, 89) liegt eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinn von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vor, wenn das die Verfolgung bewirkende Regime beseitigt ist und der Kläger bei seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat auch nicht anderweitigen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wäre. Der Tatbestand des Widerrufs der Anerkennung als Asylberechtigter bzw. der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, ist schon dann erfüllt, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerfG vom 2.7.1980 BVerfGE 54, 341; BVerwG vom 24.11.1992 Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1). Die Klausel des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, die bei der Auslegung der Widerrufsbestimmungen zu berücksichtigen ist, bezieht sich ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung. Gegen den Widerruf kann der Ausländer dagegen nicht einwenden, dass ihm im Heimatstaat nunmehr sonstige, namentlich allgemeine Gefahren drohen. Ob ihm deswegen eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht zu prüfen. Schutz kann ihm insoweit nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes gewährt werden (BVerwG vom 1.11.2005 Rn. 24 NVwZ 2006, 707).

Soweit sich der Kläger auf eine wirtschaftliche Notlage oder gar eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit für den Fall der Rückkehr in den Irak beruft, ist ebenfalls keine klärungsbedürftige Frage aufgeworfen. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2003 (Az. IA2-2084.2013) die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt und verfügt, dass auslaufende Duldungen bis auf weiteres um sechs Monate verlängert werden. Die Konferenz der Länderinnenminister hat wiederholt die Einschätzung des Bundes geteilt, dass ein Beginn von zwangsweisen Rückführungen in den Irak nicht möglich ist (vgl. u.a. Asylmagazin 2004/12 S. 17). Dafür, dass eine grundlegende Änderung dieser Einschätzung erfolgt ist, liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor. Damit liegt nach wie vor eine Erlasslage im Sinn des § 60a AufenthG vor, welche dem betroffen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass der Kläger nicht zusätzlich des Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung, etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bedarf (zu § 53 Abs. 6 AuslG vgl. BVerwG vom 12.7.2001 BVerwGE 114, 379 = NVwZ 2001, 1420).