VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 17.01.2007 - AN 15 K 06.02023 - asyl.net: M10232
https://www.asyl.net/rsdb/M10232
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Unterstützung, Anwendungszeitpunkt, Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V., Muslimbruderschaft, Ermessen
Normen: StAG § 10; StAG § 11 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

Auf den vorliegenden Fall ist das Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung anzuwenden, wie es mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes (BGBl. I Seite 950) neu gefasst worden ist. Denn soweit die Entscheidung der Einbürgerungsbehörde, wie hier, rechtlich gebunden ist, also nicht im Ermessen steht, ist auf die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Rechtslage abzustellen (vgl. BVerwG Urteil vom 31.5.1994 EZAR 278 Nr. 2; BVerwG Beschluss vom 19.8.1996 Buchholz 130 § 8 StAG Nr. 49 zu den zwingenden, außerhalb des behördlichen Ermessensbereichs liegenden Mindestvoraussetzungen nach § 8 Abs. 1 StAG). Nach dem danach anzuwendenden Recht ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unter den Voraussetzungen des § 10 StAG einzubürgern. Ein Anspruch auf Einbürgerung besteht jedoch nicht, wenn ein Hinderungsgrund nach § 11 StAG vorliegt. Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG besteht ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 dann nicht, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen [...] verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind [...], es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat". Zweck dieser Bestimmung ist es, die Einbürgerung etwa von PKK-Aktivisten oder radikalen Islamisten auch dann verhindern zu können, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können (BT-Drs. 14/533 Seite 18 ff. zur gleich lautenden Vorgängerregelung des bis 31.12.2004 geltenden § 86 Nr. 2 AuslG). Mit der einschränkenden Ausnahmeregelung soll erreicht werden, dass "Jugendsünden" nicht berücksichtigt werden. Ausgehend vom Zweck der Bestimmung ist eine "Unterstützung" jede Handlung, die für Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG objektiv vorteilhaft ist (BayVGH Urteil vom 27. 5. 2003 5 B 01 1805). Bei Organisationen, die Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG verfolgen, ist Unterstützungshandlung damit jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirkt, namentlich deren innere Organisation und den Zusammenhalt fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer in Nr. 2 angesprochenen Ziele fördert und damit ihre potentielle Gefährlichkeit festigt (vgl. BVerwG Urteil vom 15.3.2005 NVwZ 2005, 1091 zum vergleichbaren Unterstützen einer Vereinigung, die den Terrorismus fördert nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG a.F.; ferner Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsgesetz, § 11 StAG, Rdnrn. 94 ff.). Organisationsbezogene Unterstützungsaktivitäten können auch untergeordneter Natur sein, etwa die aktive Mitarbeit im Verein. Einzelne Handlungen genügen, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation mit Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG zu indizieren (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsgesetz a.a.O.).

Im Falle des Klägers bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, die jedenfalls die Annahme rechtfertigen, dass er Bestrebungen zumindest unterstützt hat, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet sind.

Die IGD ist eine Organisation, die Ziele verfolgt, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Der IGD, die als Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB anzusehen ist, sind mehrere islamische Zentren in Deutschland nachgeordnet, zu denen auch das ... gehört. Die Anhänger der IGD sind bemüht, sich in der Öffentlichkeit als eine gegenüber der deutschen Rechtsordnung loyale muslimische Interessenvertretung darzustellen. Vorbehalte gegenüber den westlichen Demokratien kommen daher in öffentlichen Verlautbarungen nur selten zum Ausdruck.

Viele Mitglieder und maßgebende Funktionäre der IGD und der islamischen Zentren stehen aber der MB und deren Zielsetzung nahe.

Die in Ägypten gegründete sunnitisch-extremistische MB ist eine multi-nationale Organisation, bei der eine Unterteilung in nationale Sektionen erkennbar ist. Ziel ist u.a. die Errichtung islamistischer "Gottesstaaten" und das angestrebte Herrschaftssystem weist deutliche Züge einer diktatorischen Ordnung auf, die die Selbstbestimmung des Volkes und die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht garantiert. Die Ideologie der MB ist in der gesamten muslimischen Welt verbreitet und hat zur Herausbildung zahlreicher militanter islamistischer Organisationen geführt. Nach Auffassung der MB ist der Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes durch den Koran legitimiert.

Die vorgenannten Angaben stehen zur Überzeugung des Gerichts auf Grund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Verfassungsschutzberichte des Bundes 2003 Seite 176 ff.; 2004 Seite 203 ff., 2005 Seite 213 ff. und des Freistaats Bayern 2003 Seite 148 ff., 2004 Seite 181 ff., 2005 Seite 42 ff.) fest.

Die Bejahung von religiös begründeter Gewalt und die Propagierung eines islamistischen Gottesstaats durch die IGD und ihre Islamischen Zentren sowie die als geistige Mutterorganisation hinter ihr stehende MB richten sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Hierzu zählen die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit, auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (BVerfGE 5, 85, 140).

Mit der Befürwortung eines islamistischen Gottesstaats durch die IGD und die ihr zuzurechnenden Islamischen Zentren, wie das ..., werden Ziele verfolgt, die sich gegen Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Achtung vor den Menschenrechten richten, zu denen auch die Religions- und Bekenntnisfreiheit gehört und die die Trennung von Staat und Religion voraussetzen. Die religiös bemäntelte Gewalt durch Verherrlichung des Jihad richtet sich vor allem, was keiner näheren Ausführungen bedarf, gegen die Menschenrechte und das Recht auf Leben.

Auf Grund der seit über zwanzig Jahren währenden regelmäßigen Besuche der Moschee des ..., seiner Mitarbeit durch das Betreiben eines Büchertisches und seine Mitgliedschaft im Dawa-Ausschuss dieser Organisation hat der Kläger den organisatorischen Zusammenhalt des ... unterstützt und hierdurch sowie durch seine finanzielle Unterstützung einen Beitrag zur Schlagkraft dieser Organisation und damit des ... und der IGD insgesamt geleistet, so dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Unterstützung von Bestrebungen der IGD und der dort vertretenen Linie der MB durch den Kläger vorliegen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Eine Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß §§ 10, 11 Satz 1 Nr. 2 StAG kommt nicht in Betracht. Mit dem Ausschluss des Anspruchs auf Einbürgerung in § 11 StAG ist zugleich eine weitere Anwendung der §§ 10, 11 StAG als Ermessensnorm ausgeschlossen. Dies ergibt sich bereits aus dem oben angeführten Zweck des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG, der keinen Raum für eine Auslegung dahingehend lässt, dass bei Ausschluss des Einbürgerungsanspruchs der Verwaltung noch ein Ermessensspielraum zustehen könnte.