VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.07.2001 - A 6 S 2218/99 - asyl.net: M0944
https://www.asyl.net/rsdb/M0944
Leitsatz:

Der Flüchtlingsstatus nach dem Kontigentflüchtlingsgesetz kann nur durch eine

Übernahmeerklärung des Bundesministers des Innern auf Dauer vor Aufnahme ins Bundesgebiet erworben werden. Durch die Ausstellung eines Reiseausweises mit dem Vermerk "Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 HumHAG" nach Einreise ins Bundesgebiet kann der Status des § 1 HumHAG nicht vermittelt werden.

Eine "Kontingentflüchtlingsanerkennung" die "ausgesprochen" und "bestandskräftig" werden kann, gibt es nicht (wie OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.11.1999, InfAuslR 2000, 466).(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Albanien, Botschaftsflüchtlinge, Straftäter, Kontingentflüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Übernahmeerklärung des Bundesministeriums des Innern, Reiseausweis, Politische Entwicklung
Normen: HumHAG § 1 Abs. 1; HumHAG § 2a; HumHAG § 2b; AuslG § 33
Auszüge:

 

Der angefochtene Bescheid vom 20.5.1998, mit dem das Bundesamt die Rechtsstellung gemäß § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge - HumHAG - widerrufen hat, verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten, weil dieser den Status nach § 1 Abs. 1 HumHAG nie erworben hat.

Unstreitig und mittlerweile durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und zahlreicher Oberverwaltungsgerichte ist geklärt, dass die sogenannten albanischen Botschaftsflüchtlinge, die Anfang Juli 1990 auf das Gelände der deutschen Botschaft in Tirana geflüchtet waren, sich weigerten, die Botschaft wieder zu verlassen und dann am 13./14.7.1990 mit Hilfe der Bundesregierung nach Deutschland reisen konnten, nicht die Rechtsstellung nach § 1 HumHAG erhalten haben, weil das allein entscheidungsbefugte Bundesministerium des Innern vor der Aufnahme dieser Flüchtlinge keine Entscheidung über eine dauerhafte Übernahme getroffen hat (vgl. u.a. VGH Bad.- Württ., Urteil vom 27.11.1996 - A 13 S 2935/95 - und vom 11.4.1997 - A 16 S i 503/96 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.9.1996 - 11 A 10136/96 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.9.1998 - 23 A 2907/95 -; nieders. OVG, Urteil vom 10.1.1997 - 1 L 3062/96 -).

Der Kläger hat den Status des § 1 HumHAG auch nicht durch die Ausstellung des Reiseausweises mit dem Vermerk, er sei ausländischer Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 HumHAG, erlangt.

Zwei ähnlich gelagerte Fälle sind mittlerweile durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 26.11.1999 - InfAuslR 2000, 466 f.) und den bayerischen VGH (Beschluss vom 4.12.2000 - 25 ZB 00.3358 -) entschieden worden. In beiden Fällen ist die Zulassung der Berufung mit der Begründung abgelehnt worden, die Frage der Anwendbarkeit des § 2 b HumHAG auf Fälle der Kontingentflüchtlingsanerkennung würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Eine "Kontingentflüchtlingsanerkennung", die "ausgesprochen" und "bestandskräftig" werden könne, gebe es nicht. Die Rechtsstellung als Kontingentflüchtling nach § 1 Abs. 1 HumHAG entstehe kraft Gesetzes, ein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren sei im Gesetz nicht vorgesehen (auch unter Verweis auf BVerwG vom 27.2.1996, VBIBW 1996, 255).

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an, denn eine "Kontingentflüchtlingsanerkennung", die "ausgesprochen" und "bestandskräftig" werden kann, gibt es in der Tat nicht. Nach dem Gesetzeswortlaut begründet nur die Aufnahme die Rechtsstellung nach § 1 Abs. 1 HumHAG. Ein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren ist im Gesetz nicht vorgesehen, vielmehr entsteht die Rechtsstellung im Sinne von § 1 Abs. 1 HumHAG kraft Gesetzes. Es ist ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers gewesen, dass die ausländischen Flüchtlinge nach Abschluss des Sichtvermerks- oder Übernahmeverfahrens nicht "ein nochmaliges Verwaltungsverfahren durchlaufen müssen", um Start- und Eingliederungshilfen zu bekommen, sondern diese "sofort nach ihrem Eintreffen in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch nehmen können", und deshalb "mit der Aufnahme im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion in der Bundesrepublik Deutschland... die Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention" erhalten (vgl. die amtl. Begründung, abgedruckt bei Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl., vor § 1 HumHAG). Gemäß § 2 HumHAG erhält "der Flüchtling im Sinne des § 1" zwar eine amtliche Bescheinigung "zum Nachweis seiner Rechtsstellung"; die Erteilung dieser Bescheinigung setzt mithin aber das Bestehen der Rechtsstellung im Sinne von § 1 Abs. 1 HumHAG voraus und kann deshalb nicht konstitutiv für deren Entstehen sein. Davon geht ersichtlich auch der Gesetzgeber selbst aus, wenn unter den dort jeweils normierten Voraussetzungen gemäß § 2 a HumHAG "die Rechtsstellung nach § 1 erlischt" bzw. gemäß § 2b HumHAG "die Rechtsstellung nach § 1 ... widerrufen werden" kann, während demgegenüber z.B. die Vorschriften der §§ 72 f. AsylVfG, unter den dort jeweils normierten Voraussetzungen vorsehen, dass "die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellunq, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen", erlöschen bzw. widerrufen werden können (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Ebenso wie das AsylVfG spricht auch § 18 Bundesvertriebenengesetz - BVFG - a.F. vom "Einziehen" des Ausweises bzw. von "Rücknahme und Widerruf einer Bescheinigung" (§ 15 Abs.3 BVFG n.F.). Auch nach dem BVFG a.F. entsteht der Status nach §§ 1 bis 8 BVFG bzw. die Spätaussiedlereigenschaft nach dem BVFG n.F. ebenso wie im Falle des HumHAG kraft Gesetzes. Ein Vertriebenenausweis hat nur deklaratorische Wirkung, ist nicht konstitutiv und die Ausweisausstellung hat auf das Bestehen eines Status keinen Einfluss (Häußer/Kapinos/Christ, Die Statusfeststellung nach dem Bundesvertriebenengesetz, § 15 RdNr. 2; zur Spätaussiedlerbescheinigung vgl. v. Schenckendorff, Vertriebenen und Flüchtlingsrecht, § 15 BVFG n.F. Anm. 1). Folgerichtig enthält § 18 BVFG a.F. eine Sonderregelung für die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts, wenn die Ausstellung eines Vertriebenenausweises rechtswidrig war, weil die Voraussetzungen für den Statuserwerb nicht vorlagen (Häußer/Kapinos/Christ a.a.O. § 18 RdNr. 1). Dadurch wird deutlich, dass allein durch das Vorliegen eines Verwaltungsakts der Statuserwerb nicht begründet werden kann. Für das vorliegende Verfahren folgt aus all dem, dass der Vermerk über die Flüchtlingseigenschaft, auch wenn es sich um einen Verwaltungsakt handeln mag, nicht den Status des Kontingentflüchtlings begründen kann.

Dementsprechend geht auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass ein Flüchtling im Hinblick auf die besondere Stabilität des Kontingentflüchtlingsstatus unabhängig vom Fortbestand der Situation, die ihn hat fliehen lassen, den Status eines Kontingentflüchtlings nur erhalten kann, wenn er aufgrund einer politischen Entscheidung des Bundesministers des Innern und deren rechtlich verbindlicher Verlautbarung ohne zeitliche Begrenzung auf Dauer und nicht nur vorübergehend aufgenommen werden sollte (BVerwG, VBIBW 1996, 255 256>). Des Weiteren ist in dieser Entscheidung von dem "erworbenen" Status als Kontingentflüchtling die Rede und nicht davon, dass dieser Status durch einen Bescheid anerkannt wurde. In der Entscheidung vom 23.3.1999 (- 9 B 980/98 - Buchholz 402.255 § 2 b HumHAG Nr. 1) stellt das Bundesverwaltungsgericht auch nochmals klar, dass entscheidend für den Rechtsstatus der albanischen Botschaftsflüchtlinge die Aufnahme aufgrund einer Übernahmeerklärung des Bundesministers des Innern ist, das die politische Entscheidung zu treffen hatte, ob den Flüchtlingen der Status nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz verliehen werden sollte oder nicht. Der Status nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz sollte den albanischen Botschaftsflüchtlingen jedoch nach einhelliger Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte gerade nicht verliehen werden (a.a.O.). Gleiches gilt für den nach Aufnahme im Bundesgebiet aufgrund der Erlasslage in Niedersachsen eingefügten Vermerk im Reiseausweis des Klägers, wonach dieser Kontingentflüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 HumHAG sei. Auch dieser Vermerk kann nicht gegen den Willen des Bundesministers des Innern einen Kontingentflüchtlingsstatus des Klägers begründen, dies schon deshalb nicht, weil er nachträglich nach der Einreise im Bundesgebiet eingefügt wurde, während der Status nur zu dem Zeitpunkt, zu dem der Flüchtling in das Bundesgebiet einreist und hier Aufnahme findet, nicht jedoch nachträglich entstehen kann (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl., HumHAG, § 2 RN 3).

Da der Kläger daher nie die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings besessen hat, geht der Widerruf dieses Status durch den angefochtenen Bescheid ins Leere, wie das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat (ebenso BayVGH, Beschluss vom 4.12.2000, a.a.O.).

Ob zur Beseitigung eines etwaigen Rechtsscheins der Reiseausweis nach Art. 28 GK entsprechend § 2a Abs. 2 HumHAG zurückverlangt werden kann und ob es sich bei dem Vermerk in diesem Reiseausweis um einen Verwaltungsakt handelt, kann offen bleiben, denn diese Fragen, die zudem in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde fallen dürften, sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.