OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 27.03.2001 - 2 L 5117/97 - asyl.net: M0732
https://www.asyl.net/rsdb/M0732
Leitsatz:

Der Senat hält auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse an seiner Rechtsprechung fest, dass Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft aus dem Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) und kurdische Volkszugehörige in Syrien keiner Gruppenverfolgung unterliegen.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Hassake, Gruppenverfolgung, Religiös motivierte Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Moslems, Verfolgungsdichte, Religiöses Existenzminimum, Eheschließung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Illegale Ausreise, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, Hevgirtina Gel-Volksunion, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Schutz von Ehe und Familie, Prüfungskompetenz, Ausländerbehörde
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Der Senat hält auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse an seiner Rechtsprechung fest, dass Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft aus dem Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) und kurdische Volkszugehörige in Syrien keiner Gruppenverfolgung unterliegen.

Das Vorbringen des Klägers, die Grundlagen für die bisherige Beurteilung des erkennenden Senats seien nicht mehr verwendbar, da ein Großteil der Yeziden aus dem Nordosten Syriens wegen der Übergriffe der moslemischen Bevölkerung geflüchtet sei, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung.

Der Senat ist in seinem Urteil vom 14. Juli 1999 (a.a.O.) aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnismittel von einer yezidischen Bevölkerung im Nordosten Syriens von ca. 10.000 Yeziden ausgegangen, hat aber außerdem vorsorglich die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung bei Annahme einer yezidischen Bevölkerung von nur 5.000 überprüft und hat auch für diesen Fall das Vorliegen einer Gruppenverfolgung verneint (vgl. S. 14-17 UA). Der Kläger hat keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass nach den gegenwärtigen Verhältnissen selbst die Zahl von 5.000 wesentlich zu hoch ist.

Selbst wenn zugunsten des Klägers von einer yezidischen Bevölkerung im Nordosten Syriens von lediglich noch 4.093 ausgegangen wird, rechtfertigt dies - wie noch auszuführen sein wird - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Magdeburg (Urt. v. 29.1.2001, a.a.O.) nicht die Annahme, dass nunmehr die für die Bejahung einer mittelbaren Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte gegeben ist.

Hinsichtlich der Zahl der Übergriffe auf Yeziden im Nordosten Syriens ist der Senat in seinen Urteilen vom 5. Februar 1997 (a.a.O.) und 14. Juli 1999 (a.a.O.) von 32 asylerheblichen Verfolgungsschlägen innerhalb eines Zeitraums von rd. 25 Jahren ausgegangen (20 Landwegnahmen, 3 Tötungen, 7 bis 9 Entführungen).

Das Yezidische Forum hat demgegenüber in seinem Gutachten vom 19. November 2000 ausgeführt, in den Jahren 1990 bis 1999 seien Yeziden im Distrikt Hassake 77 asylrechtlich relevanten Verfolgungsschlägen ausgesetzt gewesen.

Selbst wenn im Rahmen dieses Verfahrens die vorstehend dargestellten Zweifel an der asylrechtlichen Relevanz der in dem Gutachten des Yezidischen Forums aufgeführten Vorfälle zurückgestellt werden und zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass sich in den Jahren 1990 bis 1999 im Distrikt Hassake 77 asylrechtlich relevante Verfolgungsschläge ereignet haben, kann die für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht bejaht werden.

Setzt man die Zahl der Verfolgungsschläge (77) mit der Größe der betroffenen Gruppe (4.093) in Beziehung, ergibt sich bei einer quantitativen Relationsbetrachtung, dass - umgerechnet auf ein Jahr - etwa 99,8 % der im Nordosten Syriens lebenden Yeziden von den Verfolgungsschlägen nicht betroffen sind. Wird statt der Gesamtbevölkerung die Zahl der insgesamt betroffenen Familien - mit durchschnittlich rd. zehn Familienangehörigen (vgl. Urt. d. Sen. v. 14.7.1999, a.a.O., S. 16) - zugrunde gelegt, ergibt sich, dass - wiederum umgerechnet auf ein Jahr - etwa 98 % der Familien nicht betroffen sind. Dieser Prozentsatz ist noch höher, wenn man sich bei der Zahl der Familien orientiert an der Aufstellung des Gutachtens des Yezidischen Forums vom 19. November 2000 - Spalten "Dorf" und "Bewohner 2000" - über die einzelnen Familien in den vier Bezirken des Distrikts Hassake; dann errechnet sich bei einer Zahl von 647 Familien bzw. Teilen von Familien (vgl. S. 3 des Gutachtens i.V.m. der Anlage) ein Prozentsatz von etwa 99 %. Dieser Prozentsatz ergibt sich auch dann, wenn - wie dies im Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 29. Januar 2001 (a.a.O.) geschehen ist - von durchschnittlich lediglich 6,3 Familienangehörigen ausgegangen wird.

Aus diesen bei der quantitativen Relationsbetrachtung gewonnenen Ergebnissen lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass die Verfolgungsschläge so dicht und eng im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts fallen, dass bei objektiver Betrachtung für jeden Yeziden und jede yezidische Familie die aktuelle Gefahr besteht, selbst Opfer eines asylrechtlich relevanten Übergriffs zu werden.