OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.04.2001 - 8 L 2193/99 - asyl.net: M0560
https://www.asyl.net/rsdb/M0560
Leitsatz:

Roma sind im Kosovo gegenwärtig und auf absehbare Zeit sicher vor politischer Verfolgung; UNMIK und KFOR sind in weiten Teilen des Landes, Schutz zu gewährleisten.

Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Roma, Albaner, Folgeantrag, Fristen, Verfolgungsbegriff, UNMIK, KFOR, Gebietsgewalt, Quasi-staatliche Verfolgung, UCK, Übergriffe, Anschläge, Zurechenbarkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Interne Fluchtalternative, Existenzminimum, Abschiebungsstopp
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der Kläger könnte Asyl oder Abschiebungsschutz aber auch dann nicht beanspruchen, wenn er nicht - wie im Verwaltungsverfahren und vor dem Verwaltungsgericht zunächst geltend gemacht - albanischer Volkszugehöriger, sondern wie im Berufungszulassungsverfahren erstmals behauptet - Roma wäre.

Die Bevölkerungsgruppe der Roma, zu der die Romani sprechenden ethnischen Roma, die albanisch sprechenden ashkaelischen Roma und die ebenfalls albanisch sprechenden sog. "Ägypter", die von der albanisch sprechenden Bevölkerung den Roma zugerechnet werden, gehören, war nach der Rückkehr der vor der ethnischen Vertreibung durch die Serben in die Nachbarländer geflohenen albanischen Bevölkerung in den Kosovo massiven gewalttätigen Übergriffen von Zivilisten ausgesetzt.

Diese Übergriffe wie Überfälle mit teilweise tödlichem Ausgang, Entführungen, Vergewaltigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Plünderungen und Brandstiftungen erreichten im Sommer/Herbst 1999 ihren Höhepunkt, ereignen sich aber auch heute noch, wenngleich sie zahlenmässig deutlich zurückgegangen sind. Dass weniger Übergriffe stattfinden, ist aber nicht nur auf eine Verbesserung der Sicherheitslage, sondern auch darauf zurückzuführen, dass viele Angehörige dieser Minderheiten unter dem Einfluss des Geschehens außerhalb des Kosovo Zuflucht gesucht haben.

Ein Anspruch auf Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG besteht gleichwohl nicht, weil die gegen die Angehörigen der Gruppe der Roma und Aschkali gerichteten Maßnahmen keine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG darstellen.

Politische Verfolgung ist - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich staatliche Verfolgung, wobei dem Staat staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die ihn verdrängt haben oder denen er das Feld überlassen hat und die ihn insoweit ersetzen. Einer derartigen staatlichen oder quasistaatlichen Verfolgung sind die Angehörigen der Roma und Aschkali seit dem Einzug der KFOR-Truppen im Kosovo aber nicht ausgesetzt gewesen. Es ist auch nicht zu befürchten, dass ihnen in absehbarer Zeit, d.h. in einem prognostisch überschaubaren Zeitraum, staatliche oder quasistaatliche Verfolgung droht.

Da die Organe der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen die Gebietsgewalt im Kosovo verloren haben, scheiden sie als Urheber politischer Verfolgung im Sinne von Arrt. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG aus. Entsprechendes gilt für albanische Gruppierungen, weil die Gebietsgewalt im Kosovo allein von der UNMIK und den KFOR-Truppen, die Angehörige der Roma schützen, ausgeübt wird.

Der Senat hat keine Erkenntnisse dafür, dass albanische Gruppierungen - etwa die frühere UCK - in einem Teil oder Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben, was Voraussetzung dafür wäre, dass Übergriffe, die von ihnen ausgehen, politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG darstellten.

Gehen die gewalttätigen Übergriffe gegen Angehörige nichtalbanischer Bevölkerungsgruppen wie die Roma und Aschkali mithin weder von einer staatlichen noch einer quasistaatlichen Hoheitsgewalt aus, könnten sie nur dann als politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG und des § 51 Abs. 1 AuslG angesehen werden, wenn sie der internationalen Verwaltung, die die alleinige Gebietsgewalt im Kosovo ausübt, mittelbar zuzurechnen wären. Dies würde vorraussetzen, dass diese zu derartigen Übergriffen angeregt, sie unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und es damit unterlässt, den Betroffenen den erforderlichern Schutz mit den ihr an sich zur Verfügung stehenden Mitteln zu gewähren, oder wenn sie sich zum Einsatz dieser Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter nicht in der Lage sieht.

Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen vorliegen, bietet das zur Verfügung stehende Erkenntnismaterial indessen nicht.

Der Kläger kann sich auch dann, wenn er Roma sein sollte, nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Stz 1 AuslG berufen, weil das Erkenntnismaterial keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine extreme allgemeine Gefahrenlage für die Volksgruppe der Roma bietet.

Wie schon dargelegt kann dem einzelnen Ausländer wegen allgemeiner Gefahren in seinem Heimatland Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur gewährt werden, wenn die oberste Landesbehörde von der Ermächtigung in § 54 AuslG, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen, keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl eine extreme allgemeine Gefahrenlage vorliegt, in der jeder einzelne Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, a.a.O.). Eine derartige Situation ist bezüglich der Roma und Aschkali jedoch nicht gegeben. Zwar hat die oberste Landesbehörde für diesen Personenkreis keinen generellen Abschiebestopp angeordnet, weil es sich bei dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 12. März 2001, demzufolge Abschiebungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und die Duldungen für diesen Personenkreis für drei Monate zu erneuern sind, nicht um eine Anordnung i.S.d. § 54 AuslG handelt. Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann aber trotz der Übergriffe auf Roma und Aschkali im Kosovo nicht angenommen werden, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppe bei einer Abschiebung in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dem steht entgegen, dass UNMIK und KFOR nicht nur durchweg bereit, sondern in weiten Bereichen auch in der Lage sind, den Roma und Aschkali Schutz zu gewähren.

Eine im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigende extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich auch nicht aus der wirtschaftlichen Situation der Roma und Aschkali im Kosovo.