VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 07.10.1998 - AN 10 K 98.33478 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13892
Leitsatz:
Schlagwörter: Bosnien-Herzegowina, Moslems, Lagerinsassen, Folteropfer, Traumatisierte Flüchtlinge, Situation bei Rückkehr, Moslemisch-Kroatische Föderation, Abschiebungshindernis, Retraumatisierung, Medizinische Versorgung, Existenzminimum
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Ihnen steht kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG zu.

Eine Rückkehr in die Bosnisch-Kroatische Föderation ist den Klägern heute ohne erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben, oder Freiheit möglich. Soweit hier Gefahren wegen Wohnungsproblemen, der Versorgung mit Lebensmitteln oder der Grundversorgung im medizinischen Bereich betroffen sind, wird auf die Begründung des angegriffenen Bescheides vom 12.06.1998 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Im wesentlichen trägt der Kläger zu 1) im Verfahren aber vor, er sei wegen seiner Traumatisierung in den Lagern Omarska und Manjaca nicht zumutbar auf eine Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina zu verweisen. Bei einer Auslegung dieses Vorbringens ist zu differenzieren zwischen der Gefahr bei einer Rückkehr erneut Verfolgungsmaßnahmen als Moslem ausgesetzt zu werden und der insbesondere mit dem Beweisantrag implizit aufgestellten Behauptung, alleine durch die Rückkehr an den Ort der früheren Traumatisierungen bzw. in deren Nähe tatbestandsmäßig erheblichen Gefahren in diesem Sinne ausgesetzt zu sein.

Die Gefahr, für den Kläger bei einer Rückkehr in die hier allein in Frage kommende Region der Bosnischen Föderation erneut politische Verfolgung und damit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt zu sein, kann ausgeschlossen werden.

Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Kläger in den Lagern Omarska und Manjaca psychischen und körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt war, kann nicht davon ausgegangen werden, daß er bei einer Rückkehr in die moslemisch dominierte Föderation der "konkreten Gefahr" der Wiederholung solcher Vorfälle ausgesetzt ist. Zum einen gibt es keinerlei Hinweis darauf, daß es beachtliche Übergriffe von moslemischen Einwohnern der Bosnischen Föderation auf moslemische Rückkehrer gibt. Zwar existiert die bloße theoretische Möglichkeit, daß der Kläger nach einer Rückkehr Opfer von Eingriffen von Leib, Leben oder Freiheit wird, diese Gefahr, der er auch überall sonst ausgesetzt ist, erfüllt aber nicht den Begriff der " konkreten Gefahr" im Sinne der anzuwendenen Vorschrift. Zum anderen kommt den Klägern ein besonderes " Vorverfolgtenprivileg", wie bereits ausgeführt, bei der Prüfung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zugute.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage sah sich das Gericht nicht veranlaßt, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.1998 zu entsprechen.

Da es bei der im Beweisantrag angesprochenen Frage der Retraumatisierung unter anderem wesentlich um eine Beurteilung der Lebensverhältnisse geht, in die der Kläger wird zurückkehren müssen, bezieht sich der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag - ohne daß er dies ausdrücklich klarstellt - sinngemäß im wesentlichen auf eine Rückkehr in die Republik Srpska.

Außerdem hätte der Kläger nicht schon bei der Bejahung einer Gefahr einer Retraumatisierung durch den Sachverständigen einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Vielmehr müßte eine solche Retraumatisierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, also eine konkrete Gefahr bestehen.

Schließlich wäre nach Überzeugung des Gerichts der Kläger trotz der vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Rudelich mit Attest vom 22.07.1998 bestätigten depressiven Stimmungslage und vegetativen Gestörtheit bei einer Rückkehr in die Bosnische Föderation in der Lage durch den Einsatz seiner Arbeitskraft das Existenzminimum für sich und seine Familie zu erarbeiten. Der Kläger ist nämlich auch in Deutschland berufstätig und hat zu dieser Tätigkeit sogar in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie lenke von den fürchterlichen Ereignissen in seiner Heimat ab und befreie ihn von schlechten Erinnerungen.

Wie das Merkblatt des Auswärtigen Amtes über die medizinische Versorgung in Bosnien- Herzegowina vom 19.08.1998 darlegt, besteht auch grundsätzlich die Möglichkeit für den Kläger, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, wenn auch derzeit Kapazitäten entweder voll ausgeschöpft sind oder aber sogar fehlen. Allerdings muß offenbleiben, ob der Kläger es sich tatsächlich auch einer solchen Behandlung unterziehen will, nachdem er sich sogar in Deutschland, wo Kapazitäten frei wären, erstmals am 22.07.1998 zu einem Psychiater begeben hat.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Erlebnisse in den Lagern bei einer Rückkehr in die Bosnische Föderation keine einzelfallbezogene, individuelle bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde.