VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.1998 - 26 K 10026/95.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13680
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, PKK, Sympathisanten, Hungerstreik, HADEP, Haft, Vergewaltigung, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Amtswalterexzesse, Zurechenbarkeit, Glaubwürdigkeit, Verfolgungszusammenhang, Familienangehörige, Ehemann, Sippenhaft, Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Familienasyl
Normen: GG Art. 16a
Auszüge:

Das Gericht hat aufgrund des Vorbringens der Klägerin die erforderliche Überzeugung erlangt, daß diese die Türkei aufgrund politischer Verfolgung verlassen hat und im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei vor politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG nicht hinreichend sicher wäre. Hiernach geht das Gericht davon aus, daß die Klägerin im Anschluß an einen Hungerstreik im April/ Mai 1995 in Istanbul von der Polizei festgenommen, neun oder zehn Tage inhaftiert, und während dieser Inhaftierung körperlich erheblich mißhandelt und vergewaltigt worden ist. Ferner steht zur Überzeugung des Gerichts fest, daß die Klägerin auch danach noch mehrfach von Sicherheitskräften aufgesucht und auch gelegentlich kurzzeitig mitgenommen wurde, sie im Frühjahr 1996 erneut mehrere Tage inhaftiert und zum zweiten Mal vergewaltigt wurde und auch im Anschluß hieran unter polizeilicher Beobachtung stand.

Die erlittenen Mißhandlungen und Vergewaltigungen stellen einen erheblichen Eingriff in die physische und psychische Integrität der Klägerin dar, so daß diesen Verfolgungsmaßnahmen allein wegen ihrer Intensität ausgrenzender Charakter zukommt. Dies Maßnahmen knüpften weiter auch an die politische Einstellung der Klägerin an, wie sie sich in ihrer Teilnahme an dem prokurdisch orientierten Hungerstreik manifestiert und den Sicherheitskräften dadurch bekannt geworden ist.

Da hinsichtlich der Verhältnisse in der Türkei gilt, daß Häftlinge, denen eine staatsfeindliche, insbesondere linke und prokurdische Gesinnung zugeschrieben wird, im türkischen Polizeigewahrsam häufiger und härter mißhandelt werden als sonstige Straftäter, handelt es sich bei den von der Klägerin erlittenen Übergriffen ferner nicht nur um individuelle Übergriffe einzelner Amtsträger, die dem türkischen Staat nicht zuzurechnen wären, sondern um staatliche Verfolgungsmaßnahmen.

Auch die Vergewaltigung von weiblichen Häftlingen im Polizeigewahrsam ist, wenngleich sicherlich nicht der Regelfall, doch keine solche Ausnahme, so daß deswegen eine Zurechnung dieser Übergriffe als staatliches Handeln ausscheiden müßte, zumal sich aus den vorliegenden Erkenntnissen allgemein ergibt, daß die Bemühungen des türkischen Staats, Übergriffen im Polizeigewahrsam wirksam entgegenzutreten, jedenfalls derzeit noch unzureichend sind.

Daß die Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei vor weiteren Übergriffen hinreichend sicher sein könnte, kann nicht festgestellt werden. Für eine derartige Annahme fehlen die notwendigen objektiven Anhaltspunkte, zumal die prokurdische Gesinnung und die kurdische Herkunft der Klägerin nach ihrem glaubhaften Vorbringen den Sicherheitskräften sowohl in Istanbul wie auch in ihrer Heimatregion bekannt sind.

Demgegenüber ist die Klage unbegründet, soweit sie sich gegen den den Kläger betreffenden Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 1995 richtet.

Hinreichende Gesichtspunkte dafür, daß der Kläger entgegen der Bewertung durch die Beklagte und durch das erkennende Gericht in seinem ersten Asylverfahren doch vorverfolgt aus der Türkei ausgereist wäre, sind seinem Vorbringen weiterhin nicht zu entnehmen. Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 27. April 1995 und bei seiner Anhörung an 25. September 1995 vorgetragen hat, er habe sich zwischen Juni 1994 und Juni 1995 an verschiedenen prokurdischen exilpolitischen Veranstaltungen beteiligt, bei denen er zum Teil auch als Ordner eingesetzt worden sei, und im August 1995 ferner an einem Hungerstreik in Holland teilgenommen, wird hierdurch - selbst wenn man zugunsten des Klägers annimmt, daß seine Angaben zu einer Beteiligung an diesen Veranstaltungen zutreffen - nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährung des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei begründet.

Soweit der Kläger auf die Verhaftung seiner Ehefrau im Jahre 1995 und deren weiteres Schicksal in der Türkei verwiesen hat, begründet dies gleichfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung für ihn selbst.

Es genügt zur Annahme politischer Verfolgung unter dem Aspekt der Sippenhaft nicht, daß der nahe Angehörige, von welchem der klagende Asylbewerber seine eigene Verfolgung herleiten will, politisch verfolgt wird bzw. in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AusG erhalten hat. Die Asylanerkennung eines Verwandten stellt keine hinreichende Voraussetzung für die Anerkennung eines klagenden Asylbewerbers dar, weil hiermit nicht zugleich die Feststellung getroffen ist, daß die nach der vorgenannten Rechtsprechung maßgeblichen, die Sippenhaft begründenden Umstände vorliegen;

so liegt der Fall hier. Dem Vortrag der Kläger ist nicht zu entnehmen, daß die Klägerin in der Türkei per Haftbefehl gesucht wird.