VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 30.03.1998 - VG 35 A 3394.97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13512
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Klagerücknahme, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Treu und Glauben, Betreuungspflicht, Duldung, Erledigung
Normen: VwGO § 92 Abs. 1 S. 1; BGB § 242; VwVfG § 25 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag ist begründet, denn das Verfahren ist erledigt, da der Antragsgegner dem Begehren der Antragsteller auf weitere Duldung entsprochen hat und die Antragsteller daraufhin zu Recht den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Diese Erledigung war im Wege streitiger Entscheidung durch das Gericht festzustellen, weil entgegen der Auffassung des Antragsgegners das Verfahren nicht durch eine Rücknahme des vorläufigen Rechtsschutzantrages durch die Antragsteller erfolgt ist.

Eine wirksame Rücknahmeerklärung durch ein an das Verwaltungsgericht gerichtetes Schreiben setzt voraus, daß ein entsprechendes von den Antragstellern unterzeichnetes Schriftstück dem Gericht übersandt wird und als solches zur Streitakte genommen wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Erklärungen der Antragsteller zu 1) und 2) vom 2. Dezember 1997 dem Gericht lediglich als Teile der sie betreffenden Ausländerakten übersandt worden sind. Damit war von vornherein ausgeschlossen, daß diese Schriftstücke Bestandteil der Streitakten werden konnten.

Selbst wenn man zugunsten des Antragsgegners davon ausgeht, daß dem Gericht eine Rücknahmeerklärung der Antragsteller wirksam zugegangen ist, war das Verfahren nicht nach § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO entsprechend mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen, weil diese Rechtsfolge aus anderen Gründen nicht eingetreten ist.

Dem Antragsgegner ist es unter Berücksichtigung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB entsprechend) verwehrt, sich auf diese Rücknahmeerklärung zu berufen, weil er seine Rechtsposition unter Verletzung eigener Rechtspflichten - hier unter Verstoß gegen § 25 Abs. 1 VwVfG - erlangt hat.

§ 25 normiert erstmals für das allgemeine Verwaltungsverfahren die "Betreuungspflicht" der Behörde gegenüber den am Verfahren Beteiligten. Der Umfang der Betreuungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, der zu vermutende Kenntnisstand des Beteiligten und seine Unerfahrenheit im Umgang mit Behörden sowie seine Fürsorgebedürftigkeit, vor allem bei Ausländern zu berücksichtigen ist. Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde hat in seinem Mitarbeiterbrief vom 17. Oktober 1995 (InfAuslR 1996, S. 125 f.), diese Grundsätze übernommen und durch entsprechende Anweisungen umgesetzt.

Diese Grundsätze sind jedoch seit dem Sommer letzten Jahres in zahlreichen Fällen nicht beachtet worden.

Diese Fälle lassen jedoch erkennen, daß die Mitarbeiter des Antragsgegners inzwischen in größerem Umfang sich von Antragstellern Rücknahmeerklärungen unterschreiben lassen, ohne daß den betreffenden Ausländern erkennbar oder mitgeteilt wird, welche Erklärungen sie abgeben. Dies geschieht, um zu verhindern, daß nach Erteilung einer Duldung ein gerichtliches Verfahren durch eine Hauptsachenerledigungserklärung beendet wird und das Gericht bei der dann nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung dem Antragsgegner die Kosten auferlegt, wie es nach der Rechtsprechung der Kammer häufig geschieht.

Der Antragsgegner verstößt nach Auffassung des Gerichts mit der vorstehend dargestellten Praxis gegen seine sich aus § 25 VwVfG ergebenden Betreuungspflicht jedenfalls dann, wenn er - wie im Fall der Antragsteller - ihnen eine Rücknahmeerklärung vorlegt, die nur in deutscher Sprache gehalten ist und erkennbar von dem Antragsteller in ihrer Bedeutung nicht erfaßt wird. Es ist dem Gericht nicht nachvollziehbar, warum in den Fällen der Ausreise - in denen eine Rücknahme für den betreffenden Ausländer mit keinen Kosten verbunden ist -, eine zweisprachige Rücknahmeerklärung vorgelegt wird, und in anderen Fällen, in denen sich Flüchtlinge weiter in Deutschland aufhalten und somit auch einer tatsächlichen Kostenhaftung ausgesetzt sind, ein Rücknahmeformular verwendet wird, von dem von vornherein feststeht, daß der betreffende Ausländer es nicht versteht.

Da die Unterzeichnung der Erklärungen am 2. Dezember 1997 somit unter Verstoß gegen § 25 VwVfG zustandegekommen ist, kann der Antragsgegner sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben hierauf nicht berufen.