OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.03.1998 - 1 A 10242/89.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13454
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, SNM, Mitglieder, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Gebietsgewalt, Quasi-staatliche Verfolgung, Bürgerkrieg, Versöhnungsabkommen
Normen: GG Art. 16a ; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

In Somalia existiert derzeit und in absehbarer Zukunft weder auf nationaler noch auch auf regionaler oder lokaler Ebene eine staatliche oder staatsähnliche Herrschaftsmacht, von der eine staatliche und damit asylrechtlich relevante Verfolgung ausgehen könnte.

In Somalia besteht seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahre 1991 keine gesamtstaatliche Herrschaftsgewalt, und auf absehbare Zeit ist mit deren Wiedererrichtung nicht zu rechnen.

Seit der Flucht des damaligen Regierungschefs Siad Barre aus Mogadischu fehlt es in Somalia an einer effektiven Staatsgewalt. Der Zusammenbruch des Staatsgefüges zeigt sich insbesondere in der Preisgabe der Hauptstadt und damit der Herrschaftsstrukturen und -institutionen. Von den derzeit auf dem Gebiet Somalias vorhandenen "Präsidenten" hat sich bislang keiner als stark genug erwiesen, um das ganze Land unter seine Kontrolle zu bringen. Zentralstaatliche Strukturen existieren nach wie vor nicht. Auf nationaler Ebene können die Grundfunktionen eines Staates wie z.B. Gewährleistung öffentlicher Sicherheit (Gewaltmonopol), Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsprechung oder Unterhaltung eines öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens nicht ausgefüllt werden.

Es besteht in Somalia auch keine auf einem abgegrenzten Gebiet herrschende, staatsähnliche Organisation, die in der Lage ist oder auf absehbare Zeit sein könnte, staatliche Verfolgung im dargestellten Sinne auszuüben.

Die drei "Präsidenten" auf dem Gebiet Somalias sind ebensowenig wie die weiteren miteinander rivalisierenden Kräfte auf absehbare Zeit in der Lage, das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen, aber dennoch stark genug, jedweden Versuch einer friedlichen Beendigung des andauernden Bürgerkriegs zu torpedieren. Aufgrund dessen muß jederzeit und überall mit dem Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen gerechnet werden. Damit fehlt es an der erforderlichen Effektivität und Stabilität regionaler Herrschaftsorganisationen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 1997 - 9 C 15.96 -, aaO, und vom 4. November 1997 - 9 C 34.96 -, aaO; Hess. VGH, Urteil vom 20. Mai 1996 - 13 UE 1982/95 -).

Es ist auch nicht ersichtlich, daß sich die Lage in Somalia nach Erlaß der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs maßgeblich geändert hätte.

Das Auswärtige Amt geht nach wie vor davon aus, daß in weiten Teilen Somalias keine staatlichen Strukturen herrschen, von denen Verfolgungshandlungen ausgehen können. In Nordsomalia ist zunächst auf regionaler Ebene mit der Errichtung von Verwaltungsstrukturen begonnen worden. Nunmehr ist die Schaffung eines Regionalstaates mit Regierung, Verwaltung, Parlament und unabhängiger Justiz vorgesehen. Vom Bestehen einer staatlichen Ordnung in diesem Bereich kann aber noch keine Rede sein. Im Zentrum und Süden Somalias einschließlich der Hauptstadt Mogadischu kämpfen Clans und Subclans weiterhin nicht nur um Stammesgebiete und Weideland, sondern auch um die Macht in Mogadischu mit Anspruch der Präsidentschaft über ganz Somalia. In Nordwestsomalia ist bereits im Mai 1991 die - nicht anerkannte - Republik Somaliland gegründet worden. Nach Einsetzung des jetzigen Präsidenten Mohamed Ibrahim Egal begannen die Stabilisierung und der Wiederaufbau dieser Region. Aufgrund der Rücksichtnahme der Regierung auf die Differenzen zwischen den die Regierung tragenden Clans im Westen und den überwiegend die Autorität der Regierung ablehnenden Clans im Osten dieses Gebietes gibt es aber nach wie vor keine Polizei und keine Behörde, die im gesamten Bereich der Republik Somaliland einem staatlichen Gewaltmonopol Geltung verschafft.

Aufgrund dessen kann nach wie vor nicht davon ausgegangen werden, daß in Somalia eine gesamtstaatliche oder auf Teile des Gebiets beschränkte Herrschaftsmacht existiert.

Etwas anderes folgt auch nicht aus den derzeit stattfindenden Friedensbemühungen. Zwar haben sich die somalischen Kriegsgegner Ende 1997 in Kairo auf ein Versöhnungsabkommen geeinigt, das auch die Aufteilung der Macht und die Bildung einer Übergangsregierung beinhaltet.

Die Umsetzung dieses Abkommens wird jedoch schon dadurch in Frage gestellt, daß sich der Nordosten des Landes bereits davon distanziert hat. Zudem hat die im Abkommen für Januar 1998 vorgesehene Friedenskonferenz, an der zahlreiche Clans teilnehmen sollten, bislang noch nicht stattgefunden.