OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.1998 - 17 B 1505/97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13444
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Bosnier, Moslems, Besuchervisum, Visumspflicht, Illegale Einreise, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung, Abschiebungshindernis, Kroatisch-Moslemische Föderation, Situation bei Rückkehr, Existenzminimum, Versorgungslage, Kriegssteuer, Registrierung, Rückübernahmeabkommen, Freiwillige Ausreise, Daytoner Abkommen, Soft Law, Völkerrecht, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 146 Abs. 6 S. 2; VwGO § 124a Abs. 2 S. 4; VwGO § 80 Abs. 5 S. 1; AuslG § 50; AuslG § 42; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gebotene Abwägung der einander widerstreitenden Vollzugsinteressen fällt im gegenwärtigen Zeitpunkt zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Maßgeblich hierfür ist, daß sich die angefochtene Abschiebungsandrohung als rechtmäßig erweist und kein Grund vorliegt, der es rechtfertigen würde, die Antragstellerin trotz der Aussichtslosigkeit ihrer Klage vorläufig von der Vollziehung zu verschonen.

Die Antragstellerin ist ausreisepflichtig.

Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, da die Antragstellerin unerlaubt eingereist ist, § 42 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG. Sie war nämlich bei ihrer Einreise nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung, § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, da das ihr erteilte Visum lediglich einen Besuchsaufenthalt von einem Monat betraf, nicht aber den von vornherein vorgesehen gewesenen Daueraufenthalt.

Abschiebungshindernisse, die die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung berühren würden, liegen nicht vor. Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 3 AuslG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG liegt nicht vor.

Die Antragstellerin hat als bosnische Muslimin jedenfalls in den von Angehörigen ihrer Ethnie dominierten Teilen der Föderation von Bosnien und Herzegowina (Föderation) keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten.

Soweit das Auswärtige Amt trotz der dargelegten rechtlichen Verankerung und institutionellen Absicherung der Menschenrechte die Menschenrechtslage als "nach wie vor unbefriedigend" bewertet, begründet es diese Einschätzung mit der Situation der Minderheiten, die sich mancherorts weiterhin ethnisch motivierter Diskriminierung ausgesetzt sehen. Derartige Probleme stellen sich jedoch bei einer Rückkehr in Mehrheitsgebiete nicht; diese ist vielmehr für alle drei Ethnien grundsätzlich möglich. Über Verfolgungen von Rückkehrern in Gebieten, die von ihrer eigenen Volksgruppe kontrolliert werden, liegen keine Informationen vor.

Es liegt auch kein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vor.

Die Annahme eines solchen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG setzt das Bestehen einer Gefahrenlage voraus, die derart extrem ist, daß praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in erhöhtem Maße drohen, die eine Abschiebung dorthin als unzumutbar erscheinen lassen.

Zumutbar ist dagegen eine Abschiebung z.B. dann, wenn die extreme allgemeine Gefahrenlage nicht landesweit besteht und der Ausländer bei seiner Abschiebung die vergleichsweise sicheren Landesteile erreichen und sich dort aufhalten kann.

Nach diesen Grundsätzen käme vorliegend ein sich aus § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG ergebendes zwingendes Abschiebungshindernis in Betracht, wenn für die Antragstellerin in Bosnien und Herzegowina landesweit das lebensnotwendige Existenzminimum nicht sichergestellt wäre. Dieses umfaßt das Vorhandensein eines Obdachs, die Gewährleistung ausreichender Verpflegung und die Verfügbarkeit einer Grundversorgung im medizinischen Bereich. Nach den dem Senat vorliegenden und den Beteiligten bekanntgegebenen Erkenntnissen sind diese Existenzgrundlagen im Föderationsgebiet gegenwärtig sichergestellt.

Erfahrungen mit der Wohnraumsituation vor Ort zeigen, daß teilweise höhere Aufnahmekapazitäten vorhanden sind als allgemein angenommen wird. Sofern Rückkehrer im Einzelfall gleichwohl keine eigene Wohnung finden und auch nicht bei Verwandten und Freunden unterkommen können, besteht die Möglichkeit ihrer Unterbringung in Sammelunterkünften.

Die Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere Grundnahrungsmitteln, ist landesweit sichergestellt. Eine Verschlechterung der Versorgungslage durch die Rückkehr von Flüchtlingen ist bislang nicht eingetreten und derzeit nicht zu erwarten.

Jeder Bewohner hat prinzipiell unabhängig von seiner Ethnie und seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit uneingeschränkten Zugang zur medizinischen Grundversorgung und zu allen Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land.

Voraussetzung für den Erhalt humanitärer Hilfe ist - neben der Bedürftigkeit - die Registrierung.

Dem entspricht es, daß in der am 7. und 8. Oktober 1997 abgehaltenen dritten Sitzung des Expertenausschusses gem. Art. 9 des Rückübernahmeabkommens die bosnisch-herzegowinische Seite den unbedingten Rechtsanspruch eines jeden Flüchtlings auf Registrierung bekräftigt und erneut klargestellt hat, daß die Erhebung sogenannter Kriegssteuern illegal sei.

Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes kann als sicher davon ausgegangen werden, daß abgeschobene Flüchtlinge nach Rückkehr in das Föderationsgebiet auch dann registriert werden, wenn sie aus dem Gebiet der heutigen Republika Srpska stammen.

Schwieriger gestaltet sich allerdings die Situation für "spontane Rückkehrer", die weitestgehend auf sich selbst gestellt sind und für die weder der Staat Bosnien und Herzegowina noch die Föderation irgendeine rechtliche Verpflichtung übernehmen.

Dies ist jedoch für die in Rede stehende Frage, ob Abschiebungshindernisse vorliegen, ohne Belang. Falls die Antragstellerin keine Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina hat, weil sie sich nicht aus eigener Kraft bzw. mit Hilfe von Verwandten oder Bekannten eine Unterkunft beschaffen kann, ist es ihr möglich und zumutbar, sich im Rahmen des Rückübernahmeabkommens in ihr Heimatland zurückführen zu lassen. Ihre Situation unterscheidet sich in diesem Fall nicht von derjenigen eines Ausländers, der seiner Ausreiseverpflichtung nicht genügen kann, weil er die erforderlichen Reisekosten nicht aufzubringen vermag. Hier wie dort hindert das subjektive Unvermögen zur freiwilligen Erfüllung der Ausreiseverpflichtung nicht deren zwangsweise Durchsetzung im Wege der Abschiebung.