OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.03.1998 - 8 B 10128/98.OVG - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13410
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Angolaner, Aufenthaltsbefugnis, Familienangehörige, Kinder, Krankheit, Medizinische Versorgung, Schutz von Ehe und Familie, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Regelversagungsgründe, Sozialhilfebezug, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde, Zulässigkeit, Beschwerdeausschluss, Einstweilige Anordnung
Normen: AsylVfG § 80; AuslG § 30; AuslG § 55 Abs. 2; VwGO § 123; GG Art. 6 Abs. 1; AuslG § 7 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Die mit Beschluß vom 16. Januar 1998 zugelassene Beschwerde ist zulässig, insbesondere betrifft sie keine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz im Sinne von § 80 AsylVfG.

Es liegt keine Streitigkeit im Sinne des Asylverfahrensgesetzes vor, wenn wie hier ein abgelehnter Asylbewerber mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO anstrebt, von der Abschiebung aufgrund der im Zusammenhang mit der Ablehnung des Asylantrages ergangenen Abschiebungsandrohung verschont zu bleiben, bis über seinen Antrag auf Aufenthaltsbefugnis entschieden worden ist.

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Nach dem Vorbringen des Antragstellers ist hinreichend dargetan, daß ihm möglicherweise eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG zu erteilen ist. Aufgrund des bisher vorliegenden Tatsachenmaterials liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vor. Danach kann einem unanfechtbar ausreisepflichtigen Ausländer abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller ausreichend glaubhaft gemacht, daß die Abschiebung deshalb unmöglich ist, weil sie voraussichtlich gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 8 EMRK verstößt. Der zu berücksichtigende verpflichtende Schutzauftrag des Staates nach Art. 6 GG wirkt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die gesamte, die Familie betreffende Rechtsordnung ein. Er kann insbesondere aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen zeitigen, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen läßt, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist.

Der Antragsteller hat durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung vom 10. Februar 1998, die dem Verwaltungsgericht noch nicht vorlag, glaubhaft gemacht, daß Art. 6 Abs. 1 GG seiner Abschiebung nach Angola entgegenstehen kann. In dieser Auskunft wird ausgeführt: "Die am 20. Februar 1997 geborene Tochter des Antragstellers leide an einer Sichelzellenanämie, die neben heftigen Knochenschmerzen und Schädigung fast aller innerer Organe insbesondere mit einer hohen Infektgefährdung verbunden sei. Lebensbedrohliche Infektionen könnten durch gute medizinische Betreuung beherrscht werden. Deshalb erreichten in den USA und in Europa 90% dieser Patienten das Erwachsenenalter, während in zentralafrikanischen Ländern nur wenige der Kinder mit Sichelzellenanämie das Schulalter erreichten". Damit ist zum einen hinreichend glaubhaft gemacht, daß der Familie angesichts des geringen Alters und der schweren Erkrankung des Kindes in diesem Fall eine über den Normalfall hinausgehende Bedeutung als Lebens- und Beistandsgemeinschaft zukommt. Zum anderen ist glaubhaft gemacht, daß dem Kind nicht zugemutet werden kann, daß die familiäre Lebensgemeinschaft in Angola hergestellt wird. Dem steht nicht entgegen, daß nach dem vom Antragsgegner vorgelegten Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Luanda vom 5. März 1998 nach Auskunft des Leiters des staatlichen Kinderkrankenhauses in Luanda eine Sichelzellenanämie behandelbar sei, die Behandlungsmöglichkeiten in Angola jedoch im Vergleich zu deutschen Kliniken beschränkt seien. Einige private Kliniken böten gegen entsprechende Bezahlung weitergehende Behandlungsmöglichkeiten an. Diese allgemein gehaltene Auskunft läßt die konkrete Gefährdungslage der Tochter des Antragstellers noch nicht hinreichend sicher beurteilen. Es muß dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, zu klären, ob die medizinische Versorgung des Kindes in Angola soweit gewährleistet ist, daß ihm der Aufenthalt in Angola zugemutet werden kann.

Die Abschiebung des Antragstellers nach Angola ist nicht dennoch wegen Vorliegens des Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG möglich, weil der Antragsteller den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 2 AuslG verwirklicht hat und damit ein Ausweisungsgrund gegeben ist. Denn hier liegt kein die Anwendung eines Regelversagungsgrundes rechtfertigender Regelfall vor, sondern vielmehr ein Ausnahmefall, da durch die Abschiebung des Klägers durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte ehelichen familiäre Belange beeinträchtigt werden.