VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 26.01.1998 - 13 UE 2978/96.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13376
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Tadschiken, Sowjetunion (A), Studium, Ehefrau, Russen, Mischehen, DVPA, Mitglieder, Familienangehörige, Bruder, Khad, Hinrichtung, Gebietsgewalt, Quasi-staatliche Verfolgung, Politische Entwicklung, Taliban, Bürgerkrieg, Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Emigrantenrat der Afghanen in Deutschland, Demonstrationen, Sippenhaft, Antragstellung als Asylgrund, Interne Fluchtalternative, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Reisewege, Tatsächliche Unmöglichkeit, Duldung, Versorgungslage, Existenzminimum
Normen: AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 2
Auszüge:

Voraussetzungen für die Annahme einer staatlichen oder quasi-staatlichen Ordnung als grundlegende Voraussetzung für die Gewährung asylrechtlichen Schutzes sind in Afghanistan derzeit und auf absehbare Zeit hinaus nicht erfüllt.

Die Verhältnisse in Afghanistan sind noch immer durch das Fehlen einer gesamtstaatlichen Macht mit der Fähigkeit zur prinzipiellen Ausübung einer das gesamte Staatsterritorium umfassenden Herrschaftsgewalt geprägt. Das Land ist als Folge der politischen Entwicklung seit dem Sturz der letzten kommunistischen Regierung im April 1992 in Herrschaftsbereiche miteinander verfeindeter Machthaber zerfallen, die in einem anhaltenden Bürgerkrieg mit dem erklärten Ziel der endgültigen Niederringung des Gegners weiterhin erbittert um die Vorherrschaft im gesamten Staatsgebiet kämpfen. In dieser Situation eines fortdauernden, von den sich gegenüberstehenden Parteien ohne Bereitschaft zur Verständigung geführten Bürgerkriegs sind die Voraussetzungen für eine dauerhafte und stabilisierte Herrschaft der verschiedenen Machthaber und damit die Voraussetzungen für das Bestehen staatsähnlicher Macht in Afghanistan nicht erfüllt.

Die Chancen einer Beendigung dieser Bürgerkriegsauseinandersetzungen mit der Aussicht auf Bildung einer von den derzeitigen Machthabern Afghanistans gemeinsam getragenen Regierung stehen augenblicklich und für die absehbare Zukunft außerhalb jeglicher realistischer Erwartung. Beide Seiten lassen trotz gelegentlicher Friedensbeteuerungen nach wie vor keinerlei ernsthaften Willen zur Verständigung erkennen und verfolgen allein militärische Ziele. Die Taliban streben hierbei erklärtermaßen die endgültige Niederwerfung der Nordallianz und die alleinige Machtergreifung in ganz Afghanistan, ihre Gegner die Brechung der militärischen Vorherrschaft der Taliban durch Rückeroberung von Kabul und einen Friedensschluß zu ihren Bedingungen an.

Die vielfältigen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und durch einen dauerhaften Friedensschluß den seit nahezu 20 Jahren andauernden Bürgerkrieg in Afghanistan zu beenden, scheinen endgültig gescheitert. Der letzte von den Vereinten Nationen als Sonderbevollmächtigter eingesetzte deutsche Diplomat Holl erklärte im Oktober 1997 seinen Rücktritt, den er mit Kritik an der mangelnden Unterstützung vor allem durch die in dem Afghanistan-Konflikt wirtschaftlich und politisch involvierten Staaten verband (Frankfurter Rundschau vom 28. Oktober 1997).

In einer solchen unentschiedenen, wechselhaften und zum Teil unübersichtlichen Bürgerkriegslage, die für die absehbare Zukunft keine Bildung einer neuen staatlichen Ordnung als Folge einer Verständigung zwischen den Bürgerkriegsparteien erwarten läßt, sind die Anforderungen für die Annahme staatsähnlicher Organisationen nicht erfüllt. Nach der bereits oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, können aus einem anhaltenden Bürgerkrieg hervorgegangene Machtgebilde nur dann als staatsähnliche Organisation betrachtet werden, wenn diese Machtgebilde voraussichtlich von Dauer sein werden und Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen sind, was grundsätzlich voraussetzt, daß eine Beendigung des Bürgerkriegs auf der Basis einer nichtmilitärischen Lösung zu erwarten ist. Dies ist in Afghanistan, wie umfassend ausgeführt, nicht der Fall. An seiner gegenteiligen Einschätzung in dem Urteil vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A - hält der Senat im Hinblick hierauf nicht mehr fest.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht kann zu Gunsten des Klägers auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG bezüglich einer Abschiebung nach Afghanistan festgestellt werden.

Abschiebungsschutz nach der vorgenannten Bestimmung ist nur dann zu gewähren, wenn der Ausländer nach seiner Abschiebung eine dem dortigen Staat oder der staatsähnlichen Organisation zuzurechnende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erdulden hätte. Wie bereits umfassend dargelegt, besteht eine solche auch für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG erforderliche staatliche oder quasi-staatliche Ordnung in Afghanistan nicht.

Auch die Regelung in § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG, die deshalb zu prüfen ist, weil der Kläger mit seinem hauptsächlich auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG gerichteten Begehren erfolglos bleibt, vermag zu seinen Gunsten nicht einzugreifen.

Zunächst scheidet die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG im Hinblick auf eine individuelle, gerade in der Person des Klägers begründet Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit - die hier unabhängig davon zu berücksichtigen ist, ob sie auf Maßnahmen des Staates oder einer staatsähnlichen Organisation beruht, aus.

Eine solche Gefährdung ergibt sich für den Kläger mit der für die Zuerkennung des Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, a.a.O.) zunächst nicht aufgrund einer ihm in Afghanistan wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) drohenden Verfolgung durch die dortigen Machthaber.

Der Senat hat schon in seinem bereits zitierten Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 ungeachtet der in den ersten Jahren nach dem Sturz der kommunistischen Regierung im Jahre 1992 auch gegen einfache Mitglieder oder Unterstützer der früheren Staatspartei DVPA ausgeübten Repressalien eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmende Gefahr, auch heute noch wegen der bloßen Mitgliedschaft in der DVPA oder einer während der kommunistischen Zeit für diese Partei geäußerten Sympathie verfolgt zu werden, verneint.

Die von dem Senat nach Erlaß seines Grundsatzurteils vom 8. Juli 1996 eingeholten Auskünfte des Auswärtigen Amtes, der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international, des Deutschen Orient-Instituts und des Journalisten Dr. Mostafa Danesch geben, ebenso wie die ihm ansonsten zugänglich gewordenen Erkenntnisquellen, keine Veranlassung, die Verfolgungsgefährdung für ehemalige Angehörige der DVPA in grundsätzlich anderer Weise zu beurteilen und nunmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung auch für solche ehemaligen DVPA-Mitglieder anzunehmen, die neben ihrer Parteimitgliedschaft keine weiteren Funktionen bekleiden oder lediglich Aufgaben unterhalb der Leitungs- oder Führungsebene in Verwaltung, Geheimdienst oder Militär wahrgenommen haben oder aber als herausragende Funktionsträger in Erscheinung getreten sind.

Daß die fehlenden Informationen über Verfolgungen auch einfacher Parteimitglieder der ehemaligen DVPA oder sonstiger in dem früheren Staatsapparat tätiger oder diesen unterstützender Personen darauf beruhen könnte, daß entsprechende Verfolgungsfälle den sachinformierten Stellen nicht bekannt geworden sind, ist in hohem Maße unwahrscheinlich. Da diese Stellen im übrigen detailliert und kenntnisreich über die Menschenrechtslage im Machtbereich der Taliban berichten und deshalb offensichtlich einen guten Einblick in die dortigen Verhältnisse besitzen, ist anzunehmen, daß Repressionen gegenüber dem vorgenannten Personenkreis im Gebiet der Taliban in den Auskünften dieser Stellen dokumentiert worden wären.

Mangels entsprechender ernstzunehmender Hinweise muß deshalb davon ausgegangen werden, daß es auch im Herrschaftsbereich der Taliban weder während des Eroberungsfeldzuges im Süden und Westen Afghanistans in den Jahren 1994 und 1995 noch in der nachfolgenden, bis heute noch nicht abgeschlossenen Phase der Ausweitung und Konsolidierung ihres Machtbereiches eine Verfolgung "einfacher" Kommunisten gegeben hat. Dieser Umstand kann nach Lage der Dinge nur darauf zurückgeführt werden, daß auch die Taliban der kommunistischen Vergangenheit einer Person allein keine wesentliche Bedeutung mehr beimessen, sondern ihr Vorgehen hauptsächlich danach ausrichten, ob der Betreffende zur Kooperation und Unterwerfung bereit ist oder - im Gegenteil - in ihren Augen als Unterstützer oder Sympathisant des augenblicklichen Kriegsgegners erscheint.

Die vorliegenden Erkenntnisse bieten auch keine Grundlage für die Annahme des Gutachters Dr. Danesch (Gutachten vom 5. April 1997, Seite 75; ebenso Gutachten vom 7. April 1997 an das OVG Hamburg), die bloße Mitgliedschaft in der DVPA bzw. der Dienst im Khad allein könnten jedenfalls bei solchen Personen zu einer Verfolgung durch die Taliban führen, die nicht der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit in Afghanistan angehören.

Zwar geht aus den oben dargestellten Auskünften und Presseberichten mit Deutlichkeit hervor, daß die Taliban als ethnisch-homogene Gemeinschaft der Volkszugehörigkeit von in ihrem Gebiet lebenden und dorthin zurückkehrenden Personen eine erhebliche Bedeutung beimessen, Angehörigen anderer Volksgruppen mit grundsätzlichem Mißtrauen begegnen und dazu neigen, Nicht-Paschtunen schon wegen ihrer Volkszugehörigkeit als Unterstützer oder Sympathisanten des von Tadschiken, Usbeken und Hazaras dominierten Bürgerkriegsgegners anzusehen und entsprechend zu behandeln. Es liegen aber keine begründeten Hinweise dafür vor, daß die Taliban Angehörige fremder Volksgruppen gleichsam automatisch als politische Gegner betrachten und schon die Zugehörigkeit zu einer nicht-paschtunischen Volkszugehörigkeit als solche zum Anlaß für eine Verfolgung aus politischen Gründen nehmen.

Der Senat geht nach alledem weiterhin davon aus, daß auch im Machtbereich der Taliban nach wie vor nur solche Personen mit Verfolgung zu rechnen haben, die während der Herrschaft des kommunistischen Regimes eine ranghohe Stellung eingenommen, in dieser Tätigkeit für einen größeren Perrsonenkreis erkennbar nach außen getreten sind und im Zusammenhang mit der Ausübung dieser Funktion für die Tötung oder Verfolgung von politischen Gegnern bzw. für die Anordnung, Billigung oder Duldung derartiger Taten verantwortlich gemacht werden können. Daneben sind auch und vor allem solche Personen von Repressalien der Taliban bedroht, die sich im Verlaufe des Bürgerkrieges aktiv kämpfend oder unterstützend auf die Seite des Bürgerkriegsgegners der Taliban gestellt haben oder eines solchen Verhaltens konkret verdächtigt werden.

Zu dem oben beschriebenen Kreis der ehemaligen DVPA-Mitglieder und Staatsfunktionäre oder -mitarbeiter während der kommunistischen Zeit, die auch heute noch in den aus dem afghanischen Bürgerkrieg hervorgegangenen Machtzonen gefährdet sind, gehört der Kläger nicht. Er hatte nämlich über seine bloße Parteimitgliedschaft und seine Stellung als stellvertretender Vorsitzender der Parteiorganisation an dem pädagogischen Institut der Universität in Kabul hinaus zu keinem Zeitpunkt Funktionen innerhalb der DVPA wahrgenommen, die ihn noch heute dem Verdacht aussetzen könnten, an Verbrechen oder an Verfolgungsaktionen gegen Angehörige der damaligen Opposition beteiligt gewesen zu sein.

Auch die schon durch seine Ehe mit einer russischen Staatsangehörigen offenbar werdende Tatsache, daß sich der Kläger während der kommunistischen Herrschaft längere Zeit in der damaligen Sowjetunion aufgehalten und dort mit Unterstützung der afghanischen Regierung ein Studium absolviert hat, vermag seiner Parteimitgliedschaft kein solches Gewicht beizumessen, daß allein hieraus die beachtliche Gefahr gezielter Verfolgung entnommen werden könnte. Allerdings würde der Kläger aufgrund seines Auslandsstudiums in der früheren Sowjetunion und seinem späteren Lehrauftrag an der Kabuler Universität nicht als bloßer Mitläufer, sondern als besonders engagiertes und gefördertes DVPA-Mitglied bzw. als Parteiangehöriger mit Beziehungen zu höheren Regierungskreisen eingestuft. Es liegen indessen - auch für den Herrschaftsbereich der Taliban - keine hinreichenden Belege dafür vor, daß gegen Mitglieder der ehemaligen DVPA unterhalb der Führungs- und Leitungsebene in Partei, Geheimdienst, Verwaltung oder Armee allein deshalb mit Mitteln der politischen Verfolgung vorgegangen wird, weil sie - wie der Kläger - während der kommunistischen Zeit besondere Vergünstigungen und Privilegien genossen haben.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse ergibt sich für den Kläger das beachtliche Risiko, in Afghanistan Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden, auch nicht daraus, wegen seiner gegen die Politik der Taliban gerichteten exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland von diesen im Falle einer Einreise in deren Machtbereich als politischer Gegner betrachtet und behandelt zu werden. Der Kläger hat zu Art und Umfang dieser exilpolitischen Betätigung ausgeführt, er sei Mitglied des Emigrantenrates der Afghanen in Deutschland und nehme regelmäßig an Sitzungen der Vertretung dieser Organisation in Kassel teil. Überdies habe er an mehreren Protestdemonstrationen in Bonn, Hannover und Frankfurt am Main teilgenommen, die sich unter anderem gegen die Unterdrückung der Menschenrechte in Afghanistan und die Ermordung des früheren Staatspräsidenten Nadschibullah durch die Taliban gewandt hätten. Diese Aktivitäten würden für den Kläger auch im angenommenen Fall einer Rückkehr in den von den Taliban beherrschten Teil Afghanistans ohne Folgen bleiben, denn es ist nahezu auszuschließen, daß die Taliban von dieser politischen Betätigung des Klägers überhaupt Kenntnis erlangt haben.

Die Gefahr, im angenommenen Falle der Rückkehr nach Afghanistan Opfer von Repressalien zu werden, folgt für den Kläger gegenwärtig und für die absehbare Zukunft schließlich auch nicht aus der Tatsache, daß er in Deutschland um Asyl nachgesucht hat. Daß der Asylbeantragung im Ausland durch die derzeit in Afghanistan an der Macht befindlichen Kräfte eine nennenswerte Bedeutung beigemessen wird, ist schon deshalb in hohem Maße unwahrscheinlich, weil während des seit nunmehr fast 20 Jahren andauernden Bürgerkriegs mehrere Millionen Afghanen ihr Heimatland verlassen und im Ausland um Schutz nachgesucht haben. Im Hinblick hierauf wird die Asylbeantragung in aller Regel nicht als Verrat oder Ausdruck einer den jeweiligen Machthabern entgegengebrachten oppositionellen Einstellung, sondern als Mittel betrachtet werden, den unerträglichen Verhältnissen im Lande zu entfliehen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob sich für den angenommenen Fall einer Rückkehr des Klägers in den Machtbereich der Taliban die für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit aus einem Zusammenwirken der dargestellten, für sich allein nicht ausreichenden Gefährdungsaspekte ergeben könnte.

Die Frage, ob der Kläger, wenn er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in das Taliban-Gebiet gelangen sollte, dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Repressalien bedroht wäre, bedarf vorliegend keiner Beantwortung. Die mögliche Gefährdung des Klägers im Herrschaftsbereich der Taliban hat nämlich in den anderen Landesteilen Afghanistans keine Entsprechung. Wie der Senat in seinen obigen Darlegungen bereits umfassend ausgeführt hat, geht aus allen verfügbaren Erkenntnisquellen hervor, daß ehemalige Mitglieder der DVPA oder sonstige Mitarbeiter oder Unterstützer des gestürzten kommunistischen Regimes, soweit sie nicht dem Kreis der in ganz Afghanistan gefährdenden herausgehobenen Angehörigen des früheren Regimes angehören, in den nicht von den Taliban beherrschten Nordprovinzen Afghanistans unbehelligt leben können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird deshalb dort auch der Umstand, daß sich der Kläger längere Zeit zu einem Studienaufenthalt in der früheren Sowjetunion aufgehalten und dort eine russische Staatsangehörige geheiratet hat, zu keinen Konsequenzen für ihn führen.

Liegt somit keine landesweite, sondern nur eine regional begrenzte Gefährdung des Klägers vor, scheidet die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG grundsätzlich aus. Er ist vielmehr darauf verwiesen, in den nördlichen Provinzen des Landes, in die afghanische Staatsangehörige grundsätzlich auch dann einreisen können, wenn sie aus dem jetzt von den Taliban beherrschten Gebiet stammen, Schutz zu suchen.

Dem Kläger kann, ungeachtet der nur in bestimmten Landesteilen bestehenden Gefahrensituation, Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG auch nicht deshalb ausnahmsweise gewährt werden, weil für die Abschiebung nur bestimmte, gerade in Gefahrenregionen führende Abschiebungswege zur Verfügung stünden und der Kläger folglich die sicheren Gebiete im Norden des Landes nicht erreichen könnte, ohne hierbei wiederum Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt zu sein.

Zunächst ist nicht ersichtlich, daß der Kläger die nördlichen Provinzen Afghanistans nur über das Taliban-Gebiet und damit nur über eine für ihn möglicherweise mit elementaren Gefahren verbundene Region erreichen könnte. Zwar führen alle derzeit zur Verfügung stehenden Flugverbindungen nach Afghanistan in den von den Taliban beherrschten Süden und Westen des Landes, nämlich von Pakistan bzw. von Dubai aus nach Kabul, Dschalalabad, Kandahar, Herat und Schindand. Der Norden Afghanistans ist indessen über Landverbindungen zu erreichen, nämlich über Usbekistan, sowie über Tadschikistan über die Grenzstation Taluquan. Ob und inwieweit diese in die Nordprovinzen führenden Einreisewege derzeit offen sind und für eine freiwillige Rückkehr bzw. eine Abschiebung genutzt werden können, bedarf keiner Aufklärung. Selbst dann, wenn diese Rückkehrwege zeitweise - etwa auf Grund schlechter Witterung oder durch kriegsbedingte Einwirkungen - nicht zur Verfügung stehen sollten, kann dies die Gewährung von Abschiebungsschutz nicht rechtfertigen. Der direkte Zugang zu den sicheren Landesteilen ist in diesen Fällen nämlich nicht auf Dauer, sondern nur vorübergehend verschlossen, so daß eine Rückkehr nicht von vornherein nur über die mit Gefahren verbundenen Regionen erfolgen muß. Sollte sich im Abschiebungsverfahren ergeben, daß eine Abschiebung oder eine Rückkehr über die in die sicheren Landesteile führenden Einreisewege zur Zeit nicht möglich ist, ist dem Kläger ggf. wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung eine Duldung zu erteilen (§ 55 Abs. 2 AuslG).

Im Hinblick auf die Zustände in seinem Heimatland könnte dem Kläger - in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG - allenfalls dann Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG gewährt werden, wenn er dort mit einer landesweit bestehenden extremen Gefahrenlage konfrontiert würde, so daß er, wie jeder andere afghanische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage, im Falle der Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.

Eine solche für den Kläger im Falle der Abschiebung mit akuter Lebens- oder Leibesgefahr verbundene extreme Gefahrenlage besteht in Afghanistan jetzt und auf absehbare Zeit hinaus nicht.