Die Expertise ist Teil eines Forschungsprojektes mit dem Titel: "Von der Aufnahme zu gesellschaftlicher Teilhabe: Die Perspektive der Flüchtlinge auf ihre Lebenslagen in Deutschland". Das Projekt verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, "die Perspektive der Flüchtlinge durch eine wissenschaftlich fundierte Beschreibung für die Weiterentwicklung der Integrationspolitik zu erschließen". In der Begründung heißt es, dass der "…bisherigen Forschung zur Integration von Flüchtlingen […] die Sicht der Flüchtlinge selbst [fehlt]. Diese Forschungslücke will das auf zwei Jahre angelegte Forschungsprojekt von SVR-Forschungsbereich und Robert Bosch Stiftung schließen." Eine qualitative Befragung von Flüchtlingen in der frühen Phase ihrer Ankunft in Deutschland soll Aufschluss über ihre Erwartungen, persönlichen Ziele und Erfahrungen in Deutschland geben.
Die vorgelegte Expertise ermittelt den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand und verdeutlicht ekklatante Forschungslücken.
Zu folgenden Themen wurden Erhebungen und Untersuchungen gesichtet und analysiert:
- Strukturelle Integration: Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungssystem, sozialstaatlichen Leistungen und Gesundheitsversorgung;
- Soziokulturelle Integration: Kontakte zur Mehrheitsbevölkerung und Einbindung in zivilgesellschaftliche Organisationen und Vereine, Zugang zur Sprache, identifikatorische Bindungen;
- Bildungsniveau und Qualifikationsstruktur: formale und nichtformale Kompetenzen;
- Erwartungen, Wünsche und Aspirationen der Flüchtlinge in Bezug auf ihr Leben in Deutschland;
- Rechtliche, strukturelle und soziale Rahmenbedingungen der Lebenslage von Flüchtlingen;
- Physische und psychische Gesundheit von Flüchtlingen vor dem Hintergrund ihrer Lebenslage in Deutschland.
Die Autorin Susanne Johansson kommt zu dem Schluss:
"Die bisherige sozialwissenschaftliche Befassung mit Flüchtlingen in Deutschland ist unsystematisch und lückenhaft." Neben rechtspolitischen Analysen und Auswertungen von Statistiken existierten vergleichsweise wenige empirische Studien. Es fehlten Untersuchungen zur Wirkung des derzeitigen Aufnahme- und Versorgungssystems auf die Lebenslage von Flüchtlingen, zum Grad ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und zu ihren Erwartungen, Bestrebungen und Qualifikationen. Die wenigen aktuellen Erkenntnisse seien meistens nur bruchstückhaft. Vergleichende Aussagen über verschiedene Flüchtlingsgruppen oder Unterschiede zu anderen Zuwanderergruppen und zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund seien so nicht möglich. Die am wenigsten untersuchten Bereiche der Lebenslage von Flüchtlingen in Deutschland sind der Expertise zufolge die soziokulturelle Integration, die Frage der Unterstützung bzw. Diskriminierung von Flüchtlingen durch das soziale Umfeld und das gesellschaftliches und politische Engagement von Flüchtlingen.
Der einhundert Seiten starke Text gibt einen Überblick über den Forschungsstand. Allerdings sind die Auswahlkriterien für das analysierte Material nicht immer nachvollziehbar. Beispielsweise fehlt Tobias Piepers empirische Studie über das Alltagsleben in Sammelunterkünften. Trotzdem ermöglicht die Auswertung der gesichteten Untersuchungen Praktikerinnen und Praktikern, ihr Erfahrungswissen mit wissenschaftlichen Verweisen zu unterlegen, wenn es beispielsweise heißt: "Die wenigen verfügbaren Studien legen nahe, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften psychisch und körperlich belastend sein, segregierend wirken und Kontakte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen erschweren bzw. verhindern kann."
Die Expertise regt eine gesonderte Erfassung von Flüchtlingen in bestehenden migrationsspezifischen Surveys bzw. in der allgemeinen Sozialberichterstattung in Deutschland an, denn sozialwissenschaftliche Forschung zu Flüchtlingen könne nicht nur zu einer Versachlichung der Debatten beitragen, sondern auch die Wahrnehmung von Flüchtlingen nicht nur als Opfer, sondern als Handelnde ermöglichen.
Die gesamte Expertise ist hier zu finden