Neue "ergänzende Vorbereitungshaft" für Personen, die nach Ausweisung erneut einreisen

Am heutigen Tag tritt eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes in Kraft, die eine neue Möglichkeit der Inhaftierung zur Vorbereitung von Abschiebungen vorsieht. Betroffen sind Personen, von denen eine besondere Gefahr ausgeht und gegen die nach einer erfolgten Ausweisung und Abschiebung ein Einreiseverbot verhängt worden war. Sie können künftig leichter in Haft genommen werden, wenn sie wiedereinreisen und (erstmals) Asyl beantragen.

Die Neuerung findet sich in einem "Gesetz zur Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022 und zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes", das am 3. Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt erschienen ist (BGBl I Nr. 59, S. 2675). Durch das Gesetz wird in das Aufenthaltsgesetz ein neuer § 62c eingefügt. Dieser besagt, dass eine Person auf richterliche Anordnung in "ergänzende Vorbereitungshaft" genommen werden kann, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Die Person unterliegt aufgrund einer früheren Ausweisung oder Abschiebung einem Einreise- und Aufenthaltsverbot,
  2. sie hat einen Asylantrag gestellt (der im Fall der Ablehnung zu einer Abschiebungsandrohung führt) und
  3. von ihr geht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aus, weil sie eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit darstellt (sogenannte "Gefährder"), oder sie ist nach § 54 Abs. 1 AufenthG ausgewiesen worden ("besonders schweres Ausweisungsinteresse" wegen Straftaten).

Die neue Haftform dient in diesen Fällen der "Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung nach § 34 des Asylgesetzes" – sie wird also in der Erwartung angeordnet, dass der Asylantrag abgelehnt wird und eine Abschiebungsandrohung ergeht.

Mit der Neuerung soll laut der Gesetzesbegründung eine Regelungslücke geschlossen werden. So ist bisher eine Haftanordnung zwar dann möglich, wenn Personen entgegen einem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot wiedereingereist sind (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG). Allerdings gilt dies nur für Personen, die zum Zeitpunkt der Haftanordnung vollziehbar ausreisepflichtig sind. Stellen betroffene Personen (erstmalig) einen Asylantrag, ist die vollziehbare Ausreisepflicht zumindest vorübergehend nicht gegeben. Nur wenn die Betroffenen sich bereits in Haft befinden, ist nach bisheriger Rechtslage in einer solchen Konstellation die Aufrechterhaltung der Haft möglich (§ 14 Abs. 3 AsylG), nicht aber deren Anordnung. Die Folge könne laut der Gesetzesbegründung "ein Wettlauf zwischen Haft und Asylantragstellung" sein, der nun durch die Neuregelung verhindert werden solle.

Die "ergänzende Vorbereitungshaft" endet laut § 62c Abs. 2 AufenthG vier Wochen nach Asylantragstellung, es sei denn, der Antrag wird als "offensichtlich unbegründet" oder "unzulässig" abgelehnt. In diesen Fällen dauert die Haft zunächst bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen möglichen Eilantrag an. Wird der Eilantrag abgelehnt, läuft die Vorbereitungshaft anschließend noch eine Woche weiter (§ 62c Abs. 2 S. 3 AufenthG). Dies soll laut der Gesetzesbegründung "den Übergang von der ergänzenden Vorbereitungshaft zur Abschiebungshaft" ermöglichen - die zuständige Behörde hat also nach Ablehnung des Rechtsschutzbegehrens eine Woche Zeit, um eine richterliche Anordnung für die "normale" Abschiebungshaft (Sicherungshaft) einzuholen.

Anlass der Gesetzesänderung war der Fall des vielfach vorbestraften "Clanchefs" Ibrahim M., der im Oktober 2019 nur wenige Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland erneut eingereist war und einen Asylantrag gestellt hatte. Er wurde unmittelbar nach seiner Einreise in Haft genommen und nach Ablehnung des Asylfolgeantrags Ende November 2019 erneut in den Libanon abgeschoben. Bundesinnenminister Seehofer hatte als Reaktion auf den Fall eine Gesetzesverschärfung angekündigt (Meldung vom 22.11.2019 auf zeit.de). 

Die jetzt verabschiedete Regelung entspricht allerdings nicht der Konstellation im Fall Ibrahim M. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte seinen Antrag als Asylfolgeantrag behandelt, da für Ibrahim M. bereits bei der Einreise seiner Familie im Jahr 1986 ein Asylantrag gestellt worden war (Meldung vom 8.11.2019 auf sueddeutsche.de). Für Asylfolgeanträge gilt aber schon nach geltender Rechtslage, dass sie der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegenstehen, es sei denn, es wird tatsächlich ein neues Asylverfahren eröffnet (§ 71 Abs. 8 AsylG).

Da die nun getroffene Regelung eine sehr spezielle Konstellation betrifft, erscheint unklar, ob sie künftig praktische Bedeutung erlangen wird. Laut der Gesetzesbegründung schätzt die Bundesregierung, dass 45 Fälle pro Jahr betroffen sein werden, räumt zugleich aber ein, dass eine genaue Zahl nicht ermittelt werden kann. Zwar seien im Jahr 2019 1.946 Personen von der Bundespolizei erfasst worden, die entgegen einem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot eingereist seien. Es sei aber nicht bekannt, wie viele dieser Personen in den Anwendungsbereich des § 62c AufenthG gefallen wären, weil von ihnen eine Gefährdung im Sinne der Vorschrift ausgegangen wäre und sie zusätzlich einen Asylantrag gestellt hätten (BT-Drs. 19/22848 vom 25.9.2020, S. 15).

Bei der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des Bundestages wurden verschiedene Elemente der Neuregelung kritisiert. Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland wies unter anderem darauf hin, dass die Neuregelung einen unklaren "Gefährder"-Begriff enthalte. So sei der allgemein formulierte Haftgrund der Gefahr "für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit" zu unbestimmt und mit Unionsrecht unvereinbar. Philipp Wittmann, Richter am VG Karlsruhe, wies darauf hin, dass schon zuvor gesetzliche Regelungen existiert hätten, um "jedenfalls die gravierendsten Fälle rückkehrender Straftäter und terroristischer Gefährder adäquat zu bewältigen." Er meldete Zweifel an der unionsrechtlichen Zulässigkeit der Neuregelung an. Der Berliner Rechtsanwalt Christoph Tometten betonte, sowohl zur Terrorismusabwehr als auch im Hinblick auf Personen, die in der Vergangenheit zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden seien, sei die Regelung überflüssig: "In diesen Bereichen greifen bereits jetzt andere Haftregelungen". Die Sachverständigen Kay Hailbronner und Marcel Kau (beide Universität Konstanz) äußerten sich überwiegend zustimmend zum Gesetzentwurf, setzten sich dabei allerdings nicht mit allen Fragen auseinander, die von anderen Sachverständigen aufgeworfen wurden.


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