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Neue Hinweise des BMI zur Gewährung vorübergehenden Schutzes für Vertriebene aus der Ukraine

Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat in einem Rundschreiben an die Bundesländer erste rechtliche Hinweise zur Aufnahme von Personen aus der Ukraine bekannt gegeben. In dem Schreiben wird erläutert, wer einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG beanspruchen kann, wie das Verfahren ablaufen soll und welche Rechte mit diesem Titel verbunden sind.

In dem Rundschreiben des BMI vom 14. März 2022 wird zunächst – ausführlicher als in bisherigen Bekanntmachungen – beschrieben, welche Personengruppen Anspruch auf die Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG haben. Die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG geschieht auf der Grundlage der EU-Richtlinie 201/55/EG (Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen), die durch einen Beschluss des Rates der EU vom 4. März 2022 erstmals in Kraft gesetzt wurde. Auch § 24 AufenthG kommt damit erstmals zur Anwendung. Das Rundschreiben des BMI befasst sich mit verschiedenen rechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang:

Anspruchsberechtigte Personengruppen

1. Ukrainische Staatsangehörige und anerkannte Flüchtlinge

Aus dem Beschluss des Rates der EU (Art. 2 Abs. 1) ergibt sich zunächst, dass die folgenden Personengruppen vorübergehenden Schutz beanspruchen können:

  • Ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten und deren Familienangehörige (Art. 2 Abs. 1 Beschluss des Rates),
  • Staatenlose und Staatsangehörige anderer Staaten, die vor dem 24. Februar in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben sowie deren Familienangehörige (Art. 2 Abs. 1 Beschluss des Rates).

In Bezug auf diese Personengruppen werden in dem neuen Rundschreiben nun verschiedene Detailfragen erläutert:

  • Die ukrainische Staatsangehörigkeit ist in der Regel durch einen Pass oder Passersatz nachzuweisen. Hilfsweise soll auch die "Gesamtschau anderer mitgeführter Unterlagen, insbesondere von Personalausweisen" als Nachweis ausreichen.
  • Das Bestehen eines Schutzstatus in der Ukraine ist durch die Vorlage eines von der Ukraine ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge oder eines Reisedokuments "für Personen, denen der komplementäre Schutz erteilt wurde" ("Travel Document for Persons Granted Complementary Protection") nachzuweisen. Über mögliche weitere Nachweismöglichkeiten will das BMI die Länder unterrichten, sobald entsprechende Erkenntnisse vorliegen.
  • Definition des Begriffs "Familienangehörige": Hierunter fallen in erster Linie Ehegatten und nicht verheiratete Partner*innen sowie minderjährige ledige Kinder. Erläutert werden hier auch die Anforderungen an den Nachweis des Bestehens von Ehen bzw. anderen Partnerschaften.
  • Auch "enge Verwandte" können zudem Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift sein. Gemeint sind Personen, die innerhalb des Familienverbands gelebt haben und von einer anspruchsberechtigten Person abhängig waren. Als "enge Verwandte" sollen entsprechend dieser Definition insbesondere auch Kinder gelten, die am 24. Februar 2022 noch minderjährig waren und zwischenzeitlich volljährig geworden sind.

2. Ausländische (nicht-ukrainische) Staatsangehörige, die mit unbefristetem Aufenthaltstitel in der Ukraine gelebt haben

Anspruch auf vorübergehenden Schutz haben nach dem Beschluss des Rates der EU (Art. 2 Abs. 2) auch Staatenlose und Staatsangehörige anderer Länder, die sich vor dem 24. Februar 2022 mit einem gültigen unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben und die nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Das letztere Kriterium soll laut dem Rundschreiben "jedenfalls" erfüllt sein, wenn die Betroffenen in Deutschland (mindestens) Anspruch auf eine Duldung nach § 60 oder § 60a AufenthG hätten (ausgenommen sind also nur die sogenannten Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungen). Zu diesem Punkt soll gegebenenfalls noch eine weitere Klarstellung des Ministeriums erfolgen.

3. Nicht-ukrainische Staatsangehörige mit anderem rechtmäßigen Aufenthalt in der Ukraine

Laut dem Beschluss des Rates der EU (Art. 2 Abs. 3) können die Mitgliedstaaten bestimmen, ob sie weiteren Staatenlosen oder nicht-ukrainischen Staatsangehörigen, die sich am 24. Februar 2022 rechtmäßig (aber mit befristetem Titel) in der Ukraine aufgehalten haben, ebenfalls Schutz gewähren. Das Rundschreiben des BMI erläutert, wie diese Vorgabe in Deutschland umgesetzt werden soll: Vorübergehenden Schutz können demnach nicht-ukrainische Staatsangehörige erhalten, die sich am 24. Februar 2022 "nicht nur zu einem vorübergehenden Kurzaufenthalt" in der Ukraine rechtmäßig aufgehalten haben. Dies soll insbesondere für Studierende gelten sowie für Personen, die nicht nur zu Besuchszwecken bzw. für eine kurzfristige Erwerbstätigkeit in der Ukraine waren. Für den "Kurzaufenthalt" wird eine Dauer von bis zu 90 Tagen angesetzt. Personen, denen der Aufenthalt in der Ukraine für eine darüber hinausgehende Zeitspanne erlaubt war, können demnach vorübergehenden Schutz beanspruchen. Dies soll auch auf Personen zutreffen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Ukraine noch keinen Aufenthaltstitel oder Schutzstatus hatten, die aber glaubhaft machen können, dass sie Anspruch auf einen solchen Titel gehabt hätten. Ansonsten gilt, dass ein ukrainischer Aufenthaltstitel als Nachweis vorgelegt werden muss.

Voraussetzung ist auch bei diesen Personengruppen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihre Herkunftsländer zurückkehren können.

4. Ukrainische Staatsangehörige, die sich bereits in Deutschland aufgehalten haben

Ukrainische Staatsangehörige, die sich bereits mit einem Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten, können nach Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses des Rates der EU ebenfalls einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten. Dies kommt vor allem dann infrage, wenn der bestehende Aufenthaltstitel ausläuft und nicht verlängert werden kann.

Weitere Fragen

Klargestellt wird in dem Rundschreiben darüber hinaus, dass keine Beschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts der Einreise besteht. § 24 AufenthG gilt demnach für jede Person, die nach dem 24. Februar 2022 eingereist ist und die nach den o.g. Vorgaben einen Anspruch auf die Erteilung des vorübergehenden Schutzstatus hat. Außerdem können sich auch Personen auf die Regelung berufen, die "nicht lange vor dem 24. Februar 2022" aufgrund der zunehmenden Spannungen aus der Ukraine geflohen sind oder die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem EU-Staat befunden haben.

Weiterhin enthält das Rundschreiben Vorgaben zu Fragen des Familiennachzugs. Demnach können alle Personen, die selbst die Voraussetzungen des § 24 AufenthG erfüllen, eigenständig diesen Titel beanspruchen. Das Familiennachzugsverfahren findet auf sie daher keine Anwendung. Weiterhin das Nachzugsverfahren in Anspruch nehmen müssen in erster Linie Personen aus der "Kernfamilie" (Ehegatten, minderjährige ledige Kinder), die sich in einem anderen EU-Staat oder in einem Drittstaat außerhalb der EU aufhalten. Auf diese Personen findet § 29 Abs. 4 AufenthG Anwendung. Diese Regelung ermöglicht den Familiennachzug unter erheblich erleichterten Bedingungen (insbesondere Verzicht auf die Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG, also u.a. auf die Bestimmung, wonach der Lebensunterhalt für die Familie aus eigenen Mitteln gesichert werden muss).

Vom vorübergehenden Schutz ausgeschlossen sind Personen, die im Ausland Kriegsverbrechen oder ähnlich schwerwiegende Taten verübt haben (entsprechend § 3 Abs. 2 AsylG), oder die in Deutschland wegen einer Straftat zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt wurden (entsprechend § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG).

Verfahrensablauf und Ausgestaltung des § 24 AufenthG

Verfahren

Zuständig für die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 24 Abs. 1 ist die Ausländerbehörde am Wohn- bzw. Aufenthaltsort der betroffenen Personen. Auch wenn diese nicht ausdrücklich einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel stellen, soll jede "sonstige Bitte um Unterstützung (Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung)" von der Behörde zugleich als Schutzbegehren interpretiert werden. Die antragstellenden Personen sind anschließend erkennungsdienstlich zu behandeln. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird ein Register eingerichtet, in dem alle Personen erfasst werden sollen, die gemäß § 24 AufenthG aufgenommen werden.

Rechtsfolgen des § 24 AufenthG

Für Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG gelten laut dem BMI-Rundschreiben insbesondere die folgenden Regelungen:

  • Es besteht Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 3a AsylbLG).
  • Der Wechsel in einen anderen Aufenthaltsstatus (z.B. Aufenthaltstitel für Fachkräfte nach § 18a oder § 18b AufenthG oder zum Zweck einer Ausbildung nach § 16a AufenthG) ist möglich.
  • Der Aufenthaltstitel wird grundsätzlich in Form einer Karte im eAT-Format (elektronischer Aufenthaltstitel) erteilt, für die Ausstellung dieses Dokuments sollen keine Gebühren erhoben werden. Die Bundesländer erhalten die Möglichkeit, auch eine andere Form der Ausstellung des Dokuments (in Etikettenform) zu wählen, falls die Ausstellung der Karten wegen der hohen Zahl von Schutzsuchenden nicht möglich sein sollte. Bis zur Ausgabe des Dokuments soll eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt werden.
  • Die Fiktionsbescheinigung ist mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit erlaubt" zu versehen.
  • Eine Beschäftigungserlaubnis ist durch die Ausländerbehörde zu erteilen, auch wenn noch kein konkretes Beschäftigungsverhältnis in Aussicht steht. Entgegen der üblichen Regelungen für den Arbeitsmarktzugang ist den Ausländerbehörden dabei kein Ermessen eingeräumt, sie dürfen also aufenthaltsrechtliche Gesichtspunkte nicht heranziehen. Auch die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit darf nicht ausgeschlossen werden. Der Eintrag "Erwerbstätigkeit erlaubt" im Aufenthaltsdokument bzw. der Fiktionsbescheinigung ist daher ohne Einschränkungen vorzunehmen.
  • Der Aufenthaltstitel soll vom Zeitpunkt der Einreise (ggf. rückwirkend) bis zum 4. März 2024 gültig sein.
  • Ukrainische Staatsangehörige, die keinen Pass oder Passersatz besitzen, sollen auf die Möglichkeit verwiesen werden, bei ukrainischen Auslandsvertretungen eine Bescheinigung "im Sinne einer Identitätsklärung mit Lichtbild" ausgestellt zu bekommen. Wenn sie diese besitzen oder die Identität auf andere Weise hinreichend geklärt werden kann, kann ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
  • Eventuell noch bestehende Wohnsitzauflagen können unter bestimmten Voraussetzungen, die im Rundschreiben näher erläutert werden, aufgehoben werden.
  • Die Zulassung zum Integrationskurs ist auf Antrag möglich.
  • Beantragt eine Person Asyl, die bereits einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG besitzt, ruht das Asylverfahren. Es kann fortgeführt werden, wenn sich die schutzsuchende Person dazu entscheidet, auf den Titel nach § 24 AufenthG zu verzichten.
  • Bei Personen, die vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG einen Asylantrag gestellt haben, wird das Verfahren bis zur Erteilung des Titels vom BAMF nicht betrieben. Wenn die schutzsuchende Person nicht innerhalb eines Monats geltend macht, dass sie das Asylverfahren fortführen will, gilt der Antrag als zurückgenommen. Eine spätere Asylantragstellung soll damit aber nicht ausgeschlossen werden.
  • Über die wesentlichen Bestimmungen des Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG sind die betroffenen Personen zu informieren. Das BMI hat hierfür den Entwurf eines Merkblatts "Rechte und Pflichten beim vorübergehenden Schutz" erarbeitet, der den Bundesländern als Anlage zum Rundschreiben übermittelt wurde.

Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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