Änderungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Kraft getreten

Durch ein am 24. November 2020 in Kraft getretenes Gesetz wird ein Aufenthaltsrecht für "nahestehende Personen" von in Deutschland lebenden EU-Staatsangehörigen geschaffen. Daneben wird das Aufenthaltsrecht britischer Staatsangehöriger, die bereits in Deutschland leben, geregelt. Die GGUA-Flüchtlingshilfe Münster hat eine Übersicht zu den Neuerungen veröffentlicht.

Das "Gesetz zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht" wurde am 23.11.2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat damit am 24.11.2020 in Kraft (BGBl. I Nr. 53, S. 2416ff.). Neben dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) wurden durch das Gesetz u.a. die Aufenthaltsverordnung, das BAföG und das SGB III geändert. Die Neuerungen betreffen die folgenden Themenbereiche:

  • Übergangsregelungen für den Aufenthalt britischer Staatsangehöriger, die bereits in Deutschland leben oder ihren Wohnsitz vor dem 31. Dezember 2020 nach Deutschland verlegen
  • Einführung eines neuen Aufenthaltsrechts für "nahestehende Personen" von Unionsbürger*innen (Personen mit Staatsangehörigkeit eines EU-Staats)
  • Anwendbarkeit des Gesetzes auf Angehörige von deutschen Staatsangehörigen, wenn diese von ihrem Recht auf Freizügigkeit "nachhaltig Gebrauch gemacht" haben
  • Übergangsregelung, die den Anspruch auf BAföG für Personen sichert, die vor dem 31. Dezember 2020 eine Ausbildung oder ein Studium in Großbritannien aufgenommen haben.
Regelungen für britische Staatsangehörige

Zur Umsetzung des Austrittsabkommens, das Großbritannien mit der Europäischen Union abgeschlossen hat, werden Übergangsregelungen für den Aufenthalt von britischen Staatsangehörigen getroffen, die bereits in Deutschland leben bzw. die ihren Wohnsitz bis zum Ende der Übergangsfrist am 31.12.2020 nach Deutschland verlegen (Austrittsabkommen veröffentlicht im Amtsblatt der EU vom 31.1.2020, L 29/7). Daneben werden Regelungen für "Grenzgänger" geschaffen, also Personen, die in Deutschland arbeiten, aber ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben.

Für die genannten Personengruppen werden zwei neue Aufenthaltstitel geschaffen, die die Bezeichnungen "Aufenthaltsdokument-GB" und "Aufenthaltsdokument für Grenzgänger-GB" tragen.

Das "Aufenthaltsdokument-GB" wird von Amts wegen an britische Staatsangehörige ausgestellt, die bereits in Deutschland leben. Hierfür müssen diese ihren Aufenthalt bis spätestens 30. Juni 2021 bei der Ausländerbehörde ihres Wohnortes anzeigen, wenn sie nicht bereits eine Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte besitzen (neuer § 16 FreizügG/EU). Das Aufenthaltsdokument wird dann als elektronischer Aufenthaltstitel (eAT) durch die Bundesdruckerei erstellt. Es wird mit längeren Bearbeitungszeiten gerechnet. So müssen sich britische Staatsangehörige etwa in Berlin zunächst online registrieren und erhalten dann Einladungen zur persönlichen Vorsprache, um die Aufenthaltsanzeige im Sinne des Gesetzes abzugeben. Auf der Internetseite des Landes Berlin wird darauf hingewiesen, dass bereits ab dem 1. Dezember 2020 Einladungen zu Vorspracheterminen verschickt werden sollen. Die Vorsprachen könnten sich aber über das ganze Jahr 2021 erstrecken.

Das "Aufenthaltsdokument für Grenzgänger-GB" gilt für britische Staatsangehörige, die im Zeitraum bis zum 31.12.2020 bereits ihre Rechte als "Grenzgänger" ausgeübt haben und danach weiter ausüben werden. Dieses spezielle Dokument wird nur auf Antrag erteilt.

Einführung eines Aufenthaltsrechts für "nahestehende Personen" von Unionsbürger*innen

Mit einem neu eingeführten § 3a FreizügG/EU wird eine Anpassung an die europäische Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG) vorgenommen. Diese sieht in ihrem Artikel 3 Abs. 2 vor, dass auch Personen, die nicht zur "Kernfamilie" (Eltern und Kinder) von Unionsbürger*innen gehören, unter bestimmten Voraussetzungen die Einreise und der Aufenthalt unter erleichterten Bedingungen zu gewähren sind. Da diese Regelung bislang in Deutschland nicht vollständig umgesetzt worden war, hatte die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Vor diesem Hintergrund sah sich die Bundesregierung nun zu der Gesetzesinitiative veranlasst (siehe hierzu auch die Fachinfo des Paritätischen Gesamtverbands vom 12.10.2020).

Der neue § 3a FreizügG/EU sieht nun Erleichterungen bei Einreise und Aufenthalt für die folgenden Personengruppen vor:

  • Personen, die nicht zur sogenannten Kernfamilie gehören, sondern im Sinne des § 1589 BGB "in der Seitenlinie verwandt" sind – dies umfasst Geschwister, Onkel, Tanten, Neffen und Nichten – wenn sie zusätzlich eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Bst. a i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 1 Bst. a–c):
    • Die nahestehende Person erhält seit mindestens zwei Jahren und nicht nur vorübergehend Unterhaltsleistungen vonseiten des Unionsbürgers/der Unionsbürgerin;
    • die nahestehende Person und der Unionsbürger/die Unionsbürgerin haben im Ausland vor der Verlegung des Wohnsitzes nach Deutschland bereits mindestens zwei Jahre lang in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt;
    • nicht nur vorübergehende schwerwiegende gesundheitliche Gründe machen es zwingend erforderlich, dass die nahestehende Person von dem Unionsbürger/der Unionsbürgerin persönlich gepflegt wird.
  • Minderjährige Pflegekinder oder Kinder, für die die Vormundschaft ausgeübt wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Bst. c).
  • Lebensgefährtin oder Lebensgefährte, "mit der oder dem die Person eine glaubhaft dargelegte, auf Dauer angelegte Gemeinschaft eingegangen ist, die keine weitere Lebensgemeinschaft zulässt" (betrifft also nicht-verheiratete Paare sowie nicht-registrierte Lebenspartnerschaften).

Das Recht auf Einreise und Aufenthalt kann diesen Personengruppen nun auf Antrag verliehen werden. Das Gesetz räumt den Ausländerbehörden hierfür einen erheblichen Ermessensspielraum ein. Die Behörde hat demnach bei ihrer Entscheidung "nach einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände maßgeblich zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt der nahestehenden Person unter Berücksichtigung ihrer Beziehung zum Unionsbürger sowie von anderen Gesichtspunkten [...] erforderlich ist" (§ 3a Abs. 2 FreizügG/EU).

Anwendbarkeit des FreizügG/EU auf Angehörige von deutschen Staatsangehörigen in "Rückkehrfällen" sowie nach Einbürgerung

Nach dem neuen § 1 Abs. 1 Nr. 6 FreizügG/EU ist das Gesetz nun auch anwendbar auf (drittstaatsangehörige) Familienangehörige und nahestehende Personen von Deutschen, "die von ihrem Recht auf Freizügigkeit nach Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nachhaltig Gebrauch gemacht haben". Damit werden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt. Im Einzelnen umfasst sind laut der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/21750 vom 19.8.2020) diese Fallgruppen:

  • Die Familienangehörigen oder nahestehenden Personen haben sich in einem anderen Mitgliedstaat der EU gemeinsam mit einem deutschen Staatsangehörigen aufgehalten und daraus das Recht auf Freizügigkeit erworben. In der Vergangenheit drohte diesen Angehörigen eine Verschlechterung ihrer rechtlichen Position, wenn der deutsche Staatsangehörige nach Deutschland zurückkehrte und sie nun hier mit ihm zusammenleben wollten. Eine derartige Verschlechterung ist aber nicht europarechtskonform, wie der EuGH bereits im März 2014 entschieden hatte (Entscheidung C-456/12). Nun wird klargestellt, dass sich die Familienangehörigen in einer solchen Konstellation weiterhin auf das EU-Freizügigkeitsrecht berufen können, das ihnen in vielen Fällen eine bessere Rechtsposition garantiert als die im deutschen Recht geltenden Regelungen zum Familiennachzug. Erforderlich dafür, dass im Ausland das Freizügigkeitsrecht erworben wurde, ist laut der Gesetzesbegründung eine (gemeinsame) Niederlassung in dem anderen Mitgliedstaat, die über einen Kurzaufenthalt oder eine nur formale Wohnsitznahme hinausgeht.
  • Ein EU-Staatsangehöriger hat in Deutschland von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht und erwirbt dann die deutsche Staatsangehörigkeit. Bislang drohte auch in diesen Fällen eine Verschlechterung der Rechtsposition der Familienangehörigen. Eine solche Verschlechterung war vom EuGH aber im November 2017 für unzulässig erklärt worden (Entscheidung C-165/16, Lounes).

Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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Thema Familiennachzug