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EuGH zum "Wegfall der Umstände"

Der Europäische Gerichtshof hat am 2.3.2010 in einem Urteil die Voraussetzungen für den Widerruf von Flüchtlingsanerkennungen näher definiert. Entscheidend für das Erlöschen des Flüchtlingsstatus und somit für einen Widerruf ist demnach allein, dass die für die Anerkennung maßgeblichen Verfolgungsgründe aufgrund einer erheblichen und dauerhaften Änderung der Umstände im Herkunftsland entfallen sind und der Flüchtling auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie haben muss.

Mit der Entscheidung des EuGH wird die umstrittene deutsche Widerrufspraxis in einem wesentlichen Punkt bestätigt. Dem Urteil des Gerichtshofs waren mehrere Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom Februar und März 2008 (M13118 und M13161) vorausgegangen. Die Vorlagebeschlüsse waren in Verfahren irakischer Staatsangehöriger ergangen, denen nach dem Sturz des Saddam-Regimes der Flüchtlingsstatus mit Hinweis darauf entzogen worden war, dass die Umstände, die zur Anerkennung geführt hatten, entfallen seien.

Das Bundesverwaltungsgericht wollte mit seinen Vorlagefragen insbesondere klären lassen, ob die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft bereits dann vorliegen, wenn die Gründe weggefallen sind, die ursprünglich zur Anerkennung geführt hatten und auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung zu befürchten ist. Eine Reihe von Verwaltungsgerichten sowie UNHCR hatten dagegen eingewandt, dass der Entzug des Flüchtlingsstatus darüber hinaus nur bei einer hinreichend stabilen Sicherheitslage im Herkunftsland zulässig sei, was den Schutz vor allgemeiner Gewalt einschließe. Gefordert wurde von UNHCR ferner als weitere Voraussetzung für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, dass im Herkunftsland eine gesicherte Grundversorgung, d. h. ein Existenzminimum gegeben sein müsse. UNHCR ist auch der Auffassung, dass keine dauerhafte stabile Sicherheitslage vorliege, wenn die Sicherheit nur durch internationale Schutztruppen und nicht durch den Herkunftsstaat selbst gewährleistet werde. Nach UNHCR komme ein "Wegfall der Umstände", d. h. ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, auch nicht in Betracht, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen für subsidiären Schutz z. B. wegen eines bewaffneten Konflikts im Herkunftsland vorliegen, da dies gegen eine dauerhafte Stabilisierung der Sicherheitslage spreche. Siehe UNHCR-Stellungnahme vom Oktober 2008 zur "Wegfall der Umstände"-Klausel.

Die Luxemburger Richter folgten dieser Auffassung in ihrer Entscheidung nicht. Entscheidend für das Erlöschen des Flüchtlingsstatus und somit für einen Widerruf ist demnach nach Art. 11 Abs. 1 Bst. e der Qualifikationsrichtlinie (QRL) allein, dass die für die Anerkennung maßgeblichen Verfolgungsgründe aufgrund einer erheblichen und dauerhaften Änderung der Umstände im Herkunftsland entfallen sind und der Flüchtling auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Bst. c der QRL haben muss. Es komme nach Art. 7 Abs. 1 Bst. b QRL auch eine Schutzgewährung durch internationale Organisationen, und zwar auch mittels der Präsens multinationaler Truppen in Betracht.

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