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Generalanwälte beim EuGH beanstanden Abschiebungshaft und Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug

In heute veröffentlichten Schlussanträgen haben die Generalanwälte am Europäischen Gerichtshof die deutschen Bestimmungen zum Vollzug der Abschiebungshaft sowie zu den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug für europarechtswidrig erklärt.

Zum Vollzug der Abschiebungshaft: Gegenstand mehrerer beim EuGH anhängiger Verfahrens ist die Frage, ob Abschiebungshäftlinge in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden dürfen (Rechtssachen C-473/13, C-514/13 und C-474/13, Bero gegen Regierungspräsidium Kassel, Bouzalmate gegen Kreisverwaltung Kleve und Pham gegen Stadt Schweinfurt). Dies ist in den verschiedenen deutschen Bundesländern unterschiedlich geregelt: Während einige Länder spezielle Hafteinrichtungen für den Vollzug des Abschiebungsgewahrsams geschaffen haben, bringen zehn Länder Abschiebungsgefangene in gewöhnlichen JVAs unter. In den anhängigen Verfahren geht es um die Inhaftierungspraxis in Bayern und Hessen. Der Bundesgerichtshof und das Landgericht München I hatten den EuGH angerufen, um klären zu lassen, ob der Vollzug in diesen Bundesländern gegen die sogenannte Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG) verstößt. Darin ist vorgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten Abschiebungsgefangene nur ausnahmsweise in gewöhnlichen Haftanstalten festhalten dürfen, wenn die Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung nicht möglich ist. Strittig ist, ob diese Regelung auch dann greift, wenn spezielle Hafteinrichtungen nur in einem Teil des Staatsgebiets existieren (hier: nur in einigen Bundesländern).

Generalanwalt Yves Bot kommt in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, dass das Fehlen spezieller Hafteinrichtungen in einem Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats keine Rechtfertigung darstellt, um Abschiebungshäftlinge in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen. Der Vollzug der Abschiebungshaft in der Mehrzahl der Bundesländer verstößt damit nach seiner Auffassung gegen europäisches Recht.

Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug: Im Verfahren Naime Dogan gegen Deutschland geht es um die Frage, ob der Nachzug von Ehegatten zu ihren in Deutschland lebenden Partnern davon abhängig gemacht werden darf, dass Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen werden. Hintergrund ist die im Jahr 2007 in Deutschland ins Aufenthaltsgesetz aufgenommene Bestimmung, wonach Ehegatten aus dem Ausland nur nachziehen dürfen, wenn sie sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes). Dies schließt die Fähigkeit ein, sich auch schriftlich auf einfache Art äußern zu können.

Frau Dogan möchte seit vier Jahren aus der Türkei zu ihrem in Deutschland lebenden Ehemann ziehen, der einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzt. Die deutsche Botschaft in Ankara lehnte die Erteilung des erforderlichen Visums mehrfach mit der Begründung ab, dass Frau Dogan Analphabetin sei und damit nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte dem EuGH zwei Fragen vorgelegt:

  1. Ob die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug gegen die sogennante Stillhalteklausel zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei verstoßen. Nach dieser Klausel (Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses 1/80) dürfen die Partner des Abkommens keine "neuen Beschränkungen" in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit erlassen. Türkische Staatsangehörige dürfen also z.B. in Deutschland durch neue Regelungen rechtlich nicht schlechter gestellt werden als es zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklausel am 1. Dezember 1980 der Fall war.
  2. Ob die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug gegen die europäische Richtlinie über die Familienzusammenführung (Richtlinie 2003/86/EG) verstoßen.

Generalanwalt Paolo Mengozzi stellt in seinen Schlussanträgen fest, dass beide Verstöße vorliegen. Für in Deutschland lebende türkische Staatsangehörige, die wie Herr Dogan von ihrer Niederlassungsfreiheit im Sinne des Assoziierungsabkommens Gebrauch gemacht hätten, könnten die Sprachanforderungen und die damit verbundene mögliche Verhinderung des Ehegattennachzugs bedeuten, dass sie von einer Niederlassung in der EU abgeschreckt werden oder sich gezwungen sähen, das Unionsgebiet zu verlassen. Damit sei im deutschen Recht eine "neue Maßnahme" geschaffen worden, die gegen die Stillhalteklausel verstoße.

Vorsorglich stellt der Generalanwalt darüber hinaus fest, dass die deutsche Regelung zu den Sprachanforderungen auch gegen die Richtlinie über die Familienzusammenführung verstößt. Dies gelte jedenfalls, soweit keine Möglichkeit besteht, vom Spracherfordernis im Rahmen einer Einzelfallprüfung befreit zu werden. Für eine derartige Einzelfallprüfung seien die Interessen minderjähriger Kinder ebenso wie alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei sei auch der Frage Beachtung zu schenken, ob in dem Herkunftsstaat des nachzugswilligen Ehegatten Unterricht und unterstützendes Material, wie sie für den Erwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse notwendig sind, verfügbar und erschwinglich sind. Ebenso seien etwaige, auch zeitweilige Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die (wie Alter, Analphabetismus, Behinderung und Bildungsgrad) mit dem Gesundheitszustand oder der persönlichen Situation des nachzugswilligen Ehegatten zusammenhängen.

Generanwalt Mengozzi weist im Übrigen das Vorbringen der deutschen Regierung zurück, wonach das Spracherfordernis mit der Bekämpfung von Zwangsehen gerechtfertigt werden könne. Um diesen Zweck zu erfüllen, sei das Erfordernis in der bestehenen Form jedenfalls unverhältnismäßig.

Die Schlussanträge der Generalanwälte sind für den EuGH nicht bindend. Sie gelten aber als richtungsweisend, weil der Gerichtshof der Auffassung der Generalanwälte in der Vergangenheit häufig gefolgt ist.

Die Pressemitteilungen des Europäischen Gerichtshofs zu den Schlussanträgen sind hier abrufbar (in den Pressemitteilungen enthalten ist jeweils ein Link zum Volltext der Schlussanträge):