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BVerfG verhandelt über Dublin II-VO am 28.10.2010

In einer Pressemitteilung von heute informiert das Bundesverfassungsgericht, dass am 28.10.2010 in Sachen "Dublin II-Verordnung" eine mündliche Verhandlung stattfinden wird. Erwartet wird eine Grundsatzentscheidung u. a. zur Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes bei drohenden Dublin-Überstellungen in andere EU-Staaten, wenn dort die europarechtlichen Mindeststandards für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Verfahren für eine Flüchtlingsanerkennung nicht gewährleistet sind.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 78/2010
2 BvR 2015/09

 

Mündliche Verhandlung in Sachen "Dublin II Verordnung"

 

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am
28. Oktober 2010, 10:00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe


über eine Verfassungsbeschwerde, die den einstweiligen Rechtsschutz
gegen die Anordnung der Abschiebung nach Griechenland auf der Grundlage
der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, der
sog. Dublin II Verordnung, betrifft.

Angesichts erheblich steigender Asylbewerberzahlen in den 1980er und
1990er Jahren wurde das Asylrecht umgestaltet und ein neuer Art. 16a GG
geschaffen. Nach Absatz 2 des Art. 16a GG kann derjenige kein Asyl
beanspruchen, der aus einem sicheren Drittstaat ins Bundesgebiet
einreist; Überstellungen in einen solchen Staat können unabhängig von
Rechtsbehelfen vollzogen werden. EU-Mitgliedstaaten sind kraft
Verfassungsrechts sichere Drittstaaten. Das Bundesverfassungsgericht hat
die neue Asylvorschrift im Urteil vom 14. Mai 1996 (BVerfGE 94, 49) als
verfassungemäß eingestuft, aber auch ausgeführt, dass in Ausnahmefällen
der Rechtsschutzausschluss zurückstehen müsse.

Auf Unionsebene wurden ebenfalls asylrechtliche Regelungen geschaffen.
Zu ihnen gehören Vorschriften zur Bestimmung desjenigen Mitgliedstaats,
der für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Hierfür
maßgeblich ist nunmehr die Dublin II Verordnung.

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und begehrt Asyl.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte fest, dass der
Beschwerdeführer bereits in Griechenland um Asyl nachgesucht hatte. Es
entschied, dass der Asylantrag unzulässig sei, und ordnete die
Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland an. Griechenland sei
nach der Dublin II Verordnung zur Rückübernahme des Beschwerdeführers
verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen lehnte einen gegen die Abschiebung gerichteten
Eilantrag ab. Das Asylverfahrensrecht schließe es aus, Abschiebungen in
einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, der nach der Dublin II
Verordnung für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei, im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren auszusetzen. Die vom
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Mai 1996 entwickelten
Ausnahmen von diesem Verbot lägen nicht vor. Gegen diesen Beschluss
richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er nicht nach Griechenland
überstellt werden dürfe. Die Praxis der griechischen Behörden im Umgang
mit den Schutzbegehren Asylsuchender sei unzulänglich. Der Zugang zum
Asylverfahren stoße für viele auf praktisch nicht überwindbare
Schwierigkeiten. Die Bearbeitung der Asylanträge sei unzureichend. Auch
sei die Versorgung der Asylbewerber defizitär. All dies erfordere die
Gewährung von Eilrechtsschutz gegenüber der Abschiebung. Der Ausschluss
von Eilrechtschutz gelte im Anwendungsbereich der Dublin II Verordnung
nicht. Er verstoße zudem gegen europa- und menschenrechtliche Vorgaben.
Dies habe das Oberverwaltungsgericht verkannt und deswegen u. a. gegen
das Rechtsschutzgebot nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen.

 

Zur Pressemitteilung des BVerfG vom 17.9.2010.