Nur subsidiärer Schutz wegen Wehrdienstentziehung in Aserbaidschan:
1. Ein dauerhaft den Wehrdienst verweigernder aserbaidschanischer Staatsangehöriger, der keine Geldmittel aufbringen kann, um durch Zahlung von Schmiergeldern den Wehrdienst dauerhaft zu vermeiden, muss in Aserbaidschan mit wiederholten und dadurch in der Summe unverhältnismäßig langen Freiheitsstrafen rechnen. Dies stellt die Gefahr einer erniedrigenden und entwürdigen Bestrafung dar, die außer Verhältnis zu dem Zweck steht, die Ableistung des Wehrdienstes sicherzustellen (unter Bezug auf EGMR, Ülke gg. Türkei, Urteil vom 24.1.2006, Nr. 39437/98).
2. Die Flüchtlingseigenschaft ist nicht festzustellen, da die Bestrafung wegen der Wehrdienstverweigerung in Aserbaidschan keinen politischen Charakter hat. Die drohenden Sanktionen sind als reine Kriminalstrafen anzusehen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan auch keine politische Verfolgung aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung und einer ggf. daran anknüpfenden Bestrafung. Denn die Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung stellt für sich noch keine politische Verfolgung dar. Jedem souveränen Staat kommt das Recht zu, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen. Die Durchsetzung der staatsbürgerlichen Pflicht, Wehrdienst zu leisten, stellt für sich allein betrachtet noch keine politische Verfolgung dar (vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 12.3.2019 - 35 K 18.19 A -, juris). [...] Dass dem Kläger wegen einer Wehrdienstentziehung in Aserbaidschan ein solcher "Malus" oder "Politmalus" drohen könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Der Kläger hätte wegen einer Entziehung vom Wehrdienst in Friedenszeiten mit der Verurteilung zu einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren und in Kriegszeiten von drei bis sieben Jahren zu rechnen. Diese drohenden Sanktionen sind als reine Kriminalstrafen anzusehen, weil sie nach ihrer Ausgestaltung nicht auf eine politische Verfolgungstendenz schließen lassen und weil auch vorliegend nichts dafür festzustellen ist, dass Aserbaidschan im Falle des Klägers in der Verweigerung des Wehrdienstes etwas anderes als eine Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten sieht (ebenso das vom Kläger vorgelegte Urteil des VG Berlin, Urt. v. 22.5.2019 - 35 K 6.19.A -).
2. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aber Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. [...]
Die Einzelrichterin ist zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan droht, weil er sich aus Gewissensgründen weigert, dort den Wehrdienst abzuleisten. Der im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) 20-jährige Kläger unterliegt in Aserbaidschan grundsätzlich der allgemeinen Wehrpflicht, da diese alle Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren trifft. Der Kläger ist grundsätzlich auch zur Einziehung zum Wehrdienst vorgesehen, weil Aserbaidschan jährlich auch die Einziehung derjenigen vorsieht, die schon in früheren Jahren das wehrpflichtige Alter erreicht haben, aber bisher noch nicht eingezogen wurden. Grundlage für die Einziehung zum Wehrdienst sind sog. Fermane (Dekrete) des Präsidenten von Aserbaidschan. Die Fermane zur Einziehung unterscheiden sich im Wortlaut lediglich durch die einzuziehenden Jahrgänge. Sie bestimmen jeweils die Einziehung des das wehrpflichtige Alter erreichenden Jahrgangs sowie aller Jahrgänge davor, deren Angehörige noch jünger als 35 Jahre sind (vgl. VG Berlin, Urt. v. 12.3.2019 - 35 K 18.19 A -, juris Rn. 36 m.w.N.). Danach wäre auch der Kläger nach dem aktuellen Ferman, der sowohl den Geburtsjahrgang 2000 als auch die vorherigen Jahrgänge 1985 bis 1999 zur Einziehung vorsehen dürfte, aufgrund seines Geburtsjahrgangs 2000 zur Einziehung vorgesehen.
Die Einzelrichterin ist zudem davon überzeugt, dass der Kläger den Wehrdienst tatsächlich aus Gewissensgründen verweigert. [...]
Es ist zudem davon auszugehen, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, in Aserbaidschan der Erfüllung seiner Wehrpflicht über einen längeren Zeitraum hinweg auszuweichen oder sich der ihm drohenden Mehrfachbestrafung wegen der Wehrdienstverweigerung dauerhaft zu entziehen. Zwar ist nach den vorliegenden Erkenntnissen durch die in Aserbaidschan gängige Korruption die Zahlung von Schmiergeldern zur Vermeidung des Wehrdienstes weit verbreitet und weiterhin möglich (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22.2.2019, S. 12). Dass der Kläger aber dauerhaft in der Lage sein würde, die nötigen Geldmittel hierfür aufzubringen (vgl. hierzu u.a. VG Berlin, Urt. v.12.3.2019 - 35 K 18.19 A -, juris Rn. 40 f.), ist nicht sichergestellt. Der Umstand, dass er als dauerhaft den Wehrdienst verweigernder Staatsangehöriger in Aserbaidschan mit wiederholten und dadurch in der Summe unverhältnismäßig langen Freiheitsstrafen rechnen müsste, stellt die Gefahr einer erniedrigenden und entwürdigenden Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar, die außer Verhältnis zu ihrem Zweck steht, die Ableistung des Militärdienstes sicherzustellen (vgl. EGMR, Urt. v. 24.1.2006 - 39437/98 - und Urt. v. 12.6.2012 - 42730/05 -, juris). [...]