Vorläufige Aufhebung der Wohnpflicht in einer Aufnahmeeinrichtung wegen Corona-Pandemie:
1. Die Verpflichtung des Antragstellers, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ist zur Seuchenprävention und zum Schutz des Antragstellers selbst nach § 49 Abs. 2 AsylG zu beenden. Das der Behörde im Rahmen dieser Norm zustehende Ermessen ist angesichts der aktuellen Umstände reduziert; die betroffene Person hat einen Anspruch auf Aussetzung der Wohnverpflichtung.
2. Die Abstandsregelungen der Sächsischen Corona-Schutzverordnung sind auch in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende einzuhalten. Da es der betroffenen Person wegen der Umstände in der Unterkunft nicht möglich ist, den gebotenen Mindestabstand einzuhalten und sie aufgrund ihrer Fluchtbelastung und ihres Alters besonders durch das Coronavirus gefährdet ist, ist ihr Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung vorläufig zu beenden.
(Leitsätze der Redaktion)
Siehe auch:
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Es spricht nach Lage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse alles dafür, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Aussetzung der Verpflichtung, In einer Aufnahmeeinrichtung ... zu wohnen, zur Seite steht (nachfolgend 1.), auch einen Anordnungsgrund hat er glaubhaft gemacht (2.).
1. Nach § 49 Abs. 2 AsylG kann die Verpflichtung des Asylbewerbers, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (vgl. § 47 Abs. 1 AsylG), u.a. aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge beendet werden. Die Voraussetzungen für diese grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde stehende Entscheidung liegen hier vor.
Gründe der Gesundheitsvorsorge können eine Beendigung der Wohnverpflichtung nahelegen, vor allem, wenn sie nach dem Infektionsschutzgesetz - IfSG - relevant ist. Dann kann die Bestimmung nicht nur objektiv-rechtlichen Charakter haben, sondern es sind auch die verpflichteten Asylbewerber mit in den Blick nehmen und deren Interessen im Rahmen der Ermessensentscheidung besonders zu berücksichtigen. Dies gilt Insbesondere, wenn Schutz vor Ansteckung begehrt und aus diesem Grund die Entlassung angestrebt wird. Dabei ist weiter zu beachten, dass die Gründe der öffentlichen Gesundheitsvorsorge von erheblichem Gewicht sein müssen (vgl. Funke-Kaiser in GKAsyIG, § 49 Rn. 17 ff.; Hailbronner, AuslR, 65. Aufl., § 49 AsylG Rn. 9; Marx, AsylG, 9. Aufl., § 49 Rn. 6).
Solche gewichtigen, das behördliche Ermessen auf eine Entscheidung reduzierenden Belange liegen hier nach den dem Gericht vorliegenden Informationen vor. Die Beendigung der Wohnverpflichtung des Antragstellers ist nicht nur zur Seuchenprävention (a.), sondern insbesondere zum Schutz des Antragstellers selbst vor Ansteckung mit dem Sars-CoV-2 geboten (b.). Daher ist das Ermessen des Antragsgegners auf eine Entscheidung reduziert, auf die vorläufige Beendigung der Wohnverpflichtung des Antragstellers In der Erstaufnahmeeinrichtung ... (c.). [...]
"Wo immer möglich" und "in allen Lebensbereichen" ist nach § 1 CoronaSchVO der Mindestabstand einzuhalten. Gerade auch in Asylbewerberunterkünften ist die Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit Covid-19 zwingend notwendig. Dass der Sächsische Verordnungsgeber eine Ausbreitung durch die Zusammenkunft von Menschen in Unterkünften aller Art als besonders wahrscheinlich ansieht, zeigen die weiteren, bußgeldbewehrten Regelungen der Coronaschutzverordnung (vgl. nur das Verbot von Ansammlung von Menschen in § 3, die Betriebsuntersagungen in §§ 4 bis 6, der nur eingeschränkte Betrieb von Geschäften und Betrieben in § 7 und vor allem die Besuchsbeschränkungen in § 9). Es würde nicht nur einen Wertungswiderspruch zu diesen Regelungen darstellen, wollte man den Bereich der Asylbewerberunterkünfte von dem Gebot des § 1 CoronaSchVO herausnehmen (vgl. auch § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG), es würde vor allem dem Sinn und Zweck der Verordnung selbst zuwiderlaufen, der Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2. Dabei ist weiter besonders zu berücksichtigen, dass Asylsuchende bedingt durch Fluchtbelastungen und Neuorientierung empfänglicher gegenüber Infektionskrankheiten sein können (vgl. www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/Inhalt/Infektionsschutz_allgemein.html), so dass es dort leichter zu Infektionen kommen könnte. Dass im Übrigen in Asylbewerberunterkünften die Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 Metern objektiv nicht möglich sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Der Antragsteller, der aufgrund der Zuweisung nach § 47 AsylG verpflichtet ist, in der Erstaufnahmeeinrichtung ... zu wohnen, hat glaubhaft gemacht, dass es ihm im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtung nicht möglich ist, die auch für ihn geltenden Grundsätze des § 1 SächsCoronaSchVO einzuhalten. Dazu hat er dargelegt, dass die örtliche Organisation des Aufenthalts nicht diesen Anforderungen genügt, da er mit einer weiteren Person in einem zwei mal zwei Meter großen Zimmer untergebracht ist und Toiletten, Duschen und Küche zur gemeinsamen Nutzung von 50 Personen vorgesehen sind, so dass es ihm nicht ermöglicht sei, einen Mindestabstand zu anderen Personen außer zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes von 1,5 Metern einzuhalten. Dem ist der Antragsgegner nicht entgegen getreten, da er sich nicht geäußert hat.
b. Auch wenn die Regelung des § 49 AsylG im Wesentlichen vorrangig im öffentlichen Interesse liegt, so hat auch der Antragsteller selbst ein individuelles Interesse am Schutz vor Ansteckung. Eine Erkrankung könnte eine erhebliche Gesundheitsgefahr für ihn bedeuten. Nach der vorläufigen Bewertung der Krankheitsschwere von COVID-19 in Deutschland basierend auf übermittelten Fällen nach dem Infektionsschutzgesetz des RKI vom 9. April 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/17_20.pdf?__blob=publicationFile) gehört der 1972 geborene Antragsteller zu einer Altersgruppe, in der eine Erkrankung an Covid-19 eine Lungenentzündung sowohl mit Krankenhausaufenthalt und auch kritischem Verlauf nach sich ziehen kann. [...]