Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Frankreich wegen dort erlittener Menschenrechtsverletzungen:
1. In Frankreich bestehen keine systemischen Mängel hinsichtlich des Asylsystems oder der dortigen Aufnahmebedingungen.
2. Im vorliegenden Einzelfall wäre die Asylsuchende, die nach erster Überstellung in Frankreich mit ihrer 10jährigen, an Asthma erkrankten Tochter bereits fehlender Versorgung, Obdachlosigkeit und Vergewaltigung ausgesetzt war, im Fall einer erneuten Überstellung nach Frankreich wiederum einer humanitären Notlage ausgesetzt.
3. Kann eine zu überstellende Person wegen ihres psychischen Befindens das Mindestmaß an Eigeninitiative nicht aufbringen, das erforderlich ist, um in Frankreich eine Unterkunft zu finden und Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten, besteht im Einzelfall eine humanitäre Notlage, die als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu bewerten ist.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Danach liegen im vorliegenden Einzelfall Anhaltspunkte dafür vor, die - abweichend von der grundsätzlich bestehenden Regelkonformität des französischen Asylsystems - dafür sprechen könnten, dass die Antragstellerin für den Fall einer erneuten Rücküberstellung nach Frankreich wiederum der von ihr geschilderten humanitären Notlage ausgesetzt wäre.
Die Anträge von Dublin-Rückkehrern in Frankreich werden zwar grundsätzlich wie die übrigen Asylanträge behandelt, alle Schutzsuchenden erhalten grundsätzlich materielle Versorgung in Form von Unterbringung und finanziellen Beihilfe und haben Zugang zu medizinischer Versorgung (vgl. zur Auskunftslage bezogen auf das Jahr 2017: VG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2019 - 8 B 41/19 -, a.a.O. (Rn. 18) unter Verweis auf die Auskunftslage im Jahr 2017: Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Frankreich vom 29. Januar 2018, S. 5, 8 f. sowie Asylum Information Database (aida), Country Report France, Update 2017, S. 45, 75 f.; im Hinblick auf die die Auskunftslage im Jahr 2018: aida, Country Report France, Update 2018 (März 2019) (abrufbar unter www.asylumineurope.org), S. 49, 78 f.), jedoch erweisen sich die Bedingungen zur Unterstützung von und Hilfeleistungen für Dublin-Rückkehrer als kompliziert. Sowohl an den Flughäfen Charles-de-Gaulle (Paris) und Saint-Exupery (Lyon) wurde nach Frankreich rücküberstellten Asylsuchenden im Jahr 2018 im Regelfall nur mitgeteilt, an welche Präfektur oder PADA sie sich zwecks Registrierung zu wenden haben, ohne hingegen den Transport dorthin zu organisieren oder zu finanzieren (vgl. aida, Country Report France, Update 2018, S. 49).
Angesichts dessen kann sich im Einzelfall der Zugang von Dublin-Rückkehrem zum Asylverfahren in Frankreich als sehr schwer darstellen.
Mit der Registrierung von Asylsuchenden sind in Frankreich 34 über das Land verteilte guichets uniques de demande d'asile (GUDA) befasst, in denen sowohl Asylanträge als auch Gesuche um materielle Unterstützung aufgenommen werden. Zur Vergabe eines Vorsprachetermins bei GUDA müssen sich Asylsuchende zunächst an die plateformes d'accueil de demandeur d'asile (PADA) wenden; für diese Form der Vor-Registrierung sind lokale Organisationen verantwortlich, welche für die Asylsuchenden Termine bei den örtlichen Präfekturen vereinbaren. Im Jahr 2018 waren die PADA für Asylsuchende jedoch oft nur schwer zu erreichen. Insbesondere das in der Region Ile de France hierfür implementierte telefonische (kostenpflichtige) Meldesystem wurde von Nicht-Regierungsorganisationen als ineffizient bezeichnet (vgl. aida, Country Report France, Update 2018, S. 25 f.).
Für das Verfahren vor GUDA ist die Angabe einer Adresse nicht zwingend erforderlich, etwas anderes gilt jedoch für die Inanspruchnahme gewisser sozialer Vergünstigungen, wie etwa von Leistungen der Universal Medical Protection (PUMA) (vgl. aida, Country Report France, Update 2018, S. 26).
Nach wie vor bestehen in Frankreich Schwierigkeiten bei der Versorgung von Schutzsuchenden mit Unterkünften. Im Jahr 2018 standen 86.592 Unterbringungsplätze in centres d'accueil pour demandeurs d'asile (CADA), centres d'accueil et d'examen de situation administratives (CAES) und Notunterkünften zur Verfügung, von denen 7.022 Plätze auf die Region Occitanie (Zielflughafen Toulouse) entfielen (vgl. aida, Country Report France, Update 2018, S. 83).
Solange ein Asylsuchender jedoch noch nicht als solcher registriert ist, besteht nur eine sehr geringe Möglichkeit, in einer dieser Einrichtungen Unterkunft zu finden. Oftmals besteht in diesen Fällen nur die Möglichkeit, auf der Straße zu übernachten. Die staatlichen Bemühungen, Derartiges zu vermeiden, scheitern oft an den beschränkten Unterbringungskapazitäten. Im Jahr 2019 ist die Erweiterung der CADA-Plätze um 1.000 und die Schaffung von weiteren 2.500 Notunterkunftsplätzen vorgesehen. Im Jahr 2018 haben lediglich etwa 44 % der Asylsuchenden Unterkunft in einer der staatlichen Einrichtungen gefunden (vgl. aida, Country Report France, Update 2018, S. 83 ff.).
Nach der aktuellen Auskunftslage wird danach Dublin-Rückkehrern in Frankreich ein hohes Maß an Eigeninitiative abverlangt, um - jedenfalls im Zeitraum bis zu einer Registrierung bei einer Einrichtung der GUDA bzw. zumindest einer Vorspreche bei der Vor-Registrierungsorganisation PADA - Unterkunft zu finden und Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten. Dies verdeutlichen auch die - aus Sicht der Antragsgegnerin glaubhaften - Bekundungen der Antragstellerin über ihre Erfahrung in Frankreich nach ihrer Rücküberstellung am 2018. Hiernach war es der Antragstellerin weder möglich, eine Unterkunft für sich und ihre Tochter zu finden noch ihr Asylgesuch anzubringen oder sich zur Anbringung registrieren zu lassen.
Dass die Antragstellerin vor dem Hintergrund ihrer im 2018 im Zusammenhang mit der ersten Rücküberstellung gemachten Erfahrungen und ihrer aktuellen psychischen Befindlichkeit - sie hatte nach Aktenlage kurz nach Zustellung des Bundesamtsbescheides vom ... 2019 einen Suizidversuch unternommen - dieses Dublin-Rückkehrern abverlangte Eigenengagement aufbringen kann, ist aus Sicht der Einzelrichterin derzeit jedenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich, sondern bedarf der weitergehenden Aufklärung im Hauptsacheverfahren 12 K 521/19.A. Angesichts der für den Fall der Rücküberstellung nach Frankreich aber möglicherweise drohenden Verletzung der der Antragstellerin zustehenden Rechtsposition aus Art. 3 EMRK ist vorliegend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsanordnung gerichteten Klage angezeigt. [...]