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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 02.09.2016 - 8 K 220.16 V - asyl.net: M24879
https://www.asyl.net/rsdb/M24879
Leitsatz:

1. Kein Familiennachzug der libanesischen Ehefrau und des minderjährigen Kindes eines in Deutschland als Flüchtling anerkannten Syrers, da die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft aufgrund der durch die Staatsangehörigkeit begründeten Bindungen der Ehefrau zum Libanon auch dort möglich ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Ehefrau in Syrien geboren und aufgewachsen ist.

3. Die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Libanon ist auch nicht unzumutbar, da insbesondere nicht erkennbar ist, dass für den Ehemann die Gefahr einer Abschiebung nach Syrien besteht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familiennachzug, Ehegattennachzug, Staatsangehörigkeit, Flüchtlingsanerkennung, Sicherung des Lebensunterhalts, Familienzusammenführung, familiäre Lebensgemeinschaft, Syrien, Libanon, Flüchtlingseigenschaft,
Normen: AufenthG § 29 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Allerdings gewährt § 29 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich des Erfordernisses der Lebensunterhaltssicherung eine Erleichterung des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen. Danach kann bei dem Ehegatten und dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, der - wie der Beigeladene zu 2 - eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG besitzt, von den Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 Nr. 1 AufenthG und des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden. In den Fällen von § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist von diesen Voraussetzungen abzusehen, wenn 1. der im Zuge des Familiennachzugs erforderliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels innerhalb von drei Monaten nach unanfechtbarer Anerkennung als Asylberechtigter oder unanfechtbarer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4 AufenthG gestellt wird und 2. die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in einem Staat, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, nicht möglich ist.

Zwar sind die Visaanträge der Kläger innerhalb der Frist des § 29 Abs. 2 Satz. 2 Nr. 1 AufenthG gestellt worden. Jedoch ist die weitere Voraussetzung aus § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG nicht gegeben. Die Beklagte nimmt nämlich zu Recht an, dass die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft auch im Libanon möglich wäre. Die von § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG geforderte besondere Bindung zum Libanon als Drittstaat besteht bereits durch die Staatsangehörigkeit der Klägerin. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass auch der Beigeladene zu 2 eine besondere Bindung an den Libanon aufweist ("zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen", ebenso Art. 12 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 33 L 171.16 V –, juris Rn. 22). Die Klägerin vermittelt diese Bindung auch an ihren einjährigen Sohn. Die durch die Staatsangehörigkeit bestehenden Bindungen der Klägerin zum Libanon werden nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin in Syrien geboren und aufgewachsen ist. Dieser Umstand steht der Möglichkeit, im Libanon die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Beigeladenen zu 2 aufzunehmen, nicht entgegen. Auch der Bruder der Klägerin lebt und studiert derzeit im Libanon. Schließlich ist auch der Beigeladene zu 2 über den Libanon nach Deutschland ausgereist.

Die Aufnahme der Lebensgemeinschaft im Libanon ist auch nicht unzumutbar. Eine Unzumutbarkeit der Führung der familiären Lebensgemeinschaft im Libanon ergibt sich nicht daraus, dass der Beigeladene zu 2 nicht bereit ist, in den Libanon überzusiedeln. Dass der Beigeladene zu 2 den Libanon als Transitland seiner Flucht zu meiden sucht, ist verständlich, dass er aber dort wegen des Einflusses der libanesischen Hisbollah und deren Nähe zum Assad-Staat in Syrien Gefahr liefe, nach Syrien ausgeliefert zu werden, ist nicht erkennbar. Die Hisbollah ist nur einer der politischen Akteure im Libanon. Angesichts der großen Zahl syrischer Flüchtlinge im Libanon ist nicht erkennbar, warum der Beigeladene zu 2 zu Gefahr laufen sollte, von der Hisbollah wegen Wehrdienstentziehung in Syrien identifiziert und nach Syrien verschleppt zu werden. Die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft in Libanon erscheint auch - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - aufgrund des vergleichbaren kulturellen Hintergrundes und der gleichen Sprache zumutbar.

Soweit die Eheleute im Klageverfahren geltend machen, wegen ihre gemischt-konfessionellen Ehe (sunnitisch-schiitisch) nicht von der Familie der Klägerin bzw. im Libanon anerkannt zu sein, steht dies nicht der grundsätzlichen Zumutbarkeit der Begründung der familiären Lebensgemeinschaft im Libanon entgegen. Für eine daraus resultierende Gefahr haben die Kläger nichts dargetan. Nach den Abgaben der Klägerin bei ihrer Botschaftsvorsprache und des Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung hält sich die Familie der Klägerin - abgesehen vom Bruder der Klägerin - derzeit wohl nicht in Libanon auf. Aus dem Vermerk über die Vorsprache der Klägerin in der deutschen Botschaft vom 12. Februar 2016 ergibt sich, dass die Eheleute aber vor allem nicht im Libanon leben wollen, weil der Bruder der Klägerin wegen besserer Möglichkeiten in Deutschland davon abgeraten habe. Sofern der Beigeladene zu 2 in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, die Klägerin sei bei ihrer Vorsprache in der deutschen Botschaft beleidigt worden, ist ein Zusammenhang dieses Vorwurfs mit den Angaben der Klägerin und der Möglichkeit und Zumutbarkeit, die eheliche Lebensgemeinschaft in Libanon fortzusetzen, nicht erkennbar. [...]