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VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 22.03.2011 - 10 A 1768/08 - asyl.net: M18840
https://www.asyl.net/rsdb/M18840
Leitsatz:

Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Einbürgerungsverfahren wegen Erfolgsaussichten der Klage auf Einbürgerung. Dem Kläger ist es als Maktum (Nichtregistrierter) aus Syrien nicht möglich, Nachweise über sich in Syrien zu erlangen. Es kann dahinstehen, ob er nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsrecht möglicherweise durch vermittelnde Geburten die türkische Staatsangehörigkeit erlangt hat, denn eine Registrierung in der Türkei lässt sich nicht feststellen und eine Nachregistrierung yezidischer Kurden (die hier ohnehin kaum in Betracht kommen kann) ist von der Türkei nicht gewollt.

Schlagwörter: Einbürgerung, Staatsangehörigkeitsrecht, Prozesskostenhilfe, Wohngeld, Identitätsfeststellung, Staatsangehörigkeit, Syrien, Türkei, Kurden, Yeziden, Maktumin, staatenlos, Mitwirkungspflicht
Normen: StAG § 10 Abs. 1, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Soweit sich der Beklagte an einer Einbürgerung des Klägers gehindert sieht, weil er Zweifel an dessen Identität hat und meint, dass viel für eine türkische Staatsangehörigkeit des Klägers spreche, welche dieser zunächst aufgeben müsse, dürften diese Erwägungen einer Einbürgerung des Klägers nicht entgegen stehen.

Die Einzelrichterin teilt zunächst die Zweifel des Beklagten an der Identität des Klägers nicht.

Nach seinen Angaben ist der Kläger am ... 1973 in ... im Kreis Al Hassaka in Syrien als Sohn des ... und der ... geboren. Seine Eltern sind nach seinen Angaben ebenfalls in Syrien geboren, seine Großeltern beiderseits - ... und ... väterlicherseits und ... und ... mütterlicherseits - sollen ehemals aus Heleli in der Türkei nach Syrien eingewandert sein. Der Kläger gibt außerdem an, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens zu sein.

Diese Angaben sind in sich stimmig und insgesamt glaubhaft. So hatte zunächst der Einzelentscheider des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in der Anhörung des Klägers und seiner Ehefrau am 26.04.1999 keinerlei Zweifel an dem yezidischen Glauben der Eheleute, die sämtliche Fragen zu den Riten der Religion richtig beantworten konnten. Auch fand die Anhörung ausweislich des im Verwaltungsvorgang des Beklagten enthaltenen Protokolls in kurdisch-kurmanci statt.

Weiterhin liegt hinsichtlich des Vaters des Klägers die Kopie eines Auszugs aus dem Register für Ausländer des Registeramtes ... in der Provinz Al Hassaka vor. Danach ist der Vater 1944 in ... in Syrien geboren und am ...1966 in das Register eingetragen worden. Hinsichtlich der Mutter des Klägers liegt die Kopie eines Personalausweises vor, nach dem diese syrische Staatsangehörige, geboren 1956 in Kossladschek-Amouda, ist. Nach Einschätzung des Deutschen Orient-Institutes vom 15.10.2007 handelt es sich bei den Kopien um die Kopien möglicherweise echter Dokumente. Eine abschließende Überprüfung scheiterte an der Tatsache, dass sich die Originale der Dokumente im Besitz der noch in Syrien lebenden Eltern des Klägers befinden, welche zumindest auf den Personalausweis der Mutter schwerlich werden verzichten können.

Eine Überprüfung der Originaldokumente ist aber auch deshalb entbehrlich, weil außerdem auch das Ergebnis der Recherche einer ortsansässigen Rechtsanwältin in Syrien vorliegt, die bestätigt, dass der Vater des Klägers tatsächlich im Register für Ausländer in Syrien eingetragen ist. Die von dem Beklagten beauftragte Rechtsanwältin gibt dazu in ihrer Mail vom 29.11.2007 an, dass für den Vater keine Geburtsurkunde erlangt werden könne, da er in das Register nicht aufgrund Geburt, sondern aufgrund eines Komitee-Beschlusses eingetragen worden sei. Auch eine Heiratsurkunde lasse sich nicht beschaffen, da die Heirat keinen Eingang in die Register gefunden habe. Dem entspreche es, dass sowohl der Vater in dem Register für Ausländer als auch die Mutter in dem Register für Syrer noch als ledig geführt würden. Auch den Registereintrag der Mutter bestätigt die Rechtsanwältin.

Die Recherche wurde von dem Beklagten in dem Verfahren eines Bruders des Klägers zur Erlangung eines Aufenthaltstitels betrieben. Der Beklagte hat aufgrund des Ergebnisses der Recherche dem Bruder sodann einen Aufenthaltstitel erteilt. Die - schriftlichen - Angaben des Bruders, welche sich im vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten auf Blatt 87 ff. wiederfinden, waren Grundlage der Recherche. Sie decken sich mit den Angaben des Klägers im vorliegenden Verfahren, so dass auch aus diesem Grund die Zweifel des Beklagten an der Identität des Klägers nicht nachvollziehbar sind. So hatte der Beklagte bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Bruder doch offenbar keine Zweifel an dessen Identität und hatte auch anders als im vorliegenden Verfahren keine Notwendigkeit gesehen, eine Geburtsurkunde und einen Reisepass der Mutter des Klägers und seines Bruders anzufordern. Im Übrigen erschließt sich der Einzelrichterin auch nicht, inwieweit sich durch die Vorlage einer Geburtsurkunde der Mutter und ihres Reisepasses die Annahme der Identität des Klägers verfestigen können sollte. In beiden Papieren dürfte der Kläger nicht eingetragen sein.

Die Einbürgerung des Klägers von weiteren Nachweisen seiner Identität und einer Staatsangehörigkeit abhängig zu machen - wie in dem angefochtenen Bescheid vom 18.02.2008 geschehen -, dürfte rechtswidrig sein, weil der Kläger nicht in der Lage sein dürfte, weitere Nachweise zu führen.

Entgegen der Annahme des Beklagten in der Klageerwiderung, der Kläger sei durch Geburt syrischer Staatsangehöriger geworden, geht die Einzelrichterin aufgrund der gegebenen Erkenntnismittel über Syrien davon aus, dass der Kläger als Maktumin (Nichtregistrierter) gelten muss. Nach einem Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 12.07.2005 haben unter anderem Kinder dann von Geburt an den Maktum-Status, wenn der Vater staatenloser Ausländer (ajnabi) und die Mutter syrische Staatsangehörige ist (dem entspricht die ständige Rechtsprechung der 2. Kammer des hiesigen Gerichts, vgl. nur das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2007 in dem Verfahren des Bruders des Klägers 2 A 8850/05, Bl. 140 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten), auch wenn diese Feststellung sich nicht mit dem geltenden syrischen Recht deckt.

Als Maktumin ist es dem Kläger aber nicht möglich, irgendwelche Nachweise über sich in Syrien zu erlangen, denn für einen Nichtregistrierten gibt es keinen Registerauszug. Soweit die Erkenntnismittel über Syrien darüber Auskunft geben, dass Maktumin gegen ein geringes Entgelt eine sogenannte weiße Identitätsbescheinigung des Mukhtars erhalten können, kann dies vom Kläger nicht gefordert werden, denn diesen Bescheinigungen kommt keinerlei Beweiswert zu (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 09.07.2009, S. 12).

Eine Einbürgerung des Klägers dürfte auch nicht an § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG scheitern.

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG setzt eine Einbürgerung zwar voraus, dass der Ausländer eine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Dem Kläger wird jedoch nicht vorgehalten werden können, dass er eine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben oder verlieren müsse, weil sich nicht feststellen lässt, dass er über eine solche verfügt.

Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG festgelegte Einbürgerungsvoraussetzung, eine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben oder zu verlieren, setzt voraus, dass der Ausländer eine fremde Staatsangehörigkeiten besitzt. Die Versagung der Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlende Aufgabe bzw. den fehlenden Verlust einer fremden Staatsangehörigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn vom Vorliegen einer fremden Staatsangehörigkeit auszugehen ist. Lässt sich unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten und trotz der notwendigen Mitwirkung des Einbürgerungsbewerbers keine - oder keine weitere - Staatsangehörigkeit feststellen, kann auch nicht die Aufgabe oder der Verlust einer Staatsangehörigkeit verlangt werden (VG Hannover, Urteile vom 20.09.2010 - 10 A 7588/06 -, vom 19.06.2008 - 10 A 3600/07 - und vom 25.09.2006 - 10 A 449/05 -).

Für die Beantwortung der vom Beklagten aufgeworfenen Frage, ob der Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, kann dabei auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die zur Bestimmung der Staatenlosigkeit gelten. Danach ist eine Person staatenlos, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht (BVerwG, Urteil vom 23.02.1993 - 1 C 45.90 -, BVerwGE 92, 116 118>). Dabei sind jeweils andere Staaten - hier die Bundesrepublik Deutschland - von Völkerrechts wegen verpflichtet, nicht nur die staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften eines Staates, sondern auch deren Auslegung durch Behörden und Gerichte des betreffenden Staates zu beachten (BVerwG, Beschluss vom 04.10.1995 - 1 B 138.95 -, InfAuslR 1995, S. 21). Ungeachtet des Staatsangehörigkeitsrechts des betreffenden Staates kommt es also darauf an, ob dieser Staat die jeweilige Person - gegebenenfalls nach deren möglicher und zumutbarer Mitwirkung - in seiner Rechtspraxis als seinen Staatsangehörigen ansieht. Ist dies nicht der Fall, besteht auch unter Berücksichtigung der Gründe, die für die Vermeidung von Mehrstaatigkeit maßgebend sind, keine Notwendigkeit, die Einbürgerung dieser Person zu verweigern (VG Hannover, Urteile vom 20.09.2010 und 25.09.2006 a.a.O.).

Diesen Grundsätzen entsprechend könnte vorliegend dahinstehen, ob der Kläger nach dem Staatsangehörigkeitsrecht der Türkei möglicherweise durch vermittelnde Geburten die türkische Staatsangehörigkeit erlangt hat. Die Einzelrichterin führt ihre diesbezüglichen Zweifel nur der Vollständigkeit halber aus.

Für sie ist es bereits ungeklärt, ob die Großeltern väterlicherseits tatsächlich türkischer Staatsangehörigkeit waren.

Beide Großelternteile stammten ursprünglich aus der Türkei (Heleli) und wurden unter der Geltung des ersten Staatsangehörigkeitsgesetzes des Osmanischen Reiches von 1869 geboren. Nach Art. 1 dieses Gesetzes galt das Abstammungsprinzip. Danach waren die Großeltern nur dann osmanische Staatsangehörige, wenn sie jeweils von einem Vater mit osmanischer Staatsangehörigkeit abstammten, was nicht bekannt ist. Sollten die Großeltern durch Geburt jeweils die osmanische Staatsangehörigkeit erlangt haben, könnten sie diese allerdings späterhin noch verloren haben. So verlor derjenige die osmanische Staatsangehörigkeit, der zu den Stichtagen des Vertrags von Lausanne - 24.07.1923 - und der ergänzenden Verordnung 2825/bis - 30.08.1924 - weder auf türkischem noch auf syrischem Staatsgebiet lebte und nicht binnen Frist für die türkische Staatsangehörigkeit optierte (vgl. Auskunft des Europäischen Zentrums vom 30.06.2006) und die Großeltern väterlicherseits des Klägers hielten sich zwischen 1911 und 1938 im Irak auf.

Darüber hinaus ist nach Ansicht der Einzelrichterin auch ungeklärt, ob die Großeltern mütterlicherseits türkische Staatsangehörige waren, wobei mehr gegen als für eine solche Annahme spricht.

Da die Mutter des Klägers nachweislich in den Registern in Syrien als syrische Staatsangehörige geführt wird, liegt die Annahme nahe, dass beide Großeltern mütterlicherseits Syrer waren. Nach Auskunft des Europäischen Zentrums vom 12.07.2005 wurden nur diejenigen Kinder von den syrischen Behörden als syrische Staatsangehörige anerkannt, bei denen beide Eltern die Staatsangehörigkeit aufweisen konnten. Zumindest aber muss der Großvater des Klägers Syrer gewesen sein. Dies aber ist nur denkbar bei gleichzeitiger Verneinung einer türkischen Staatsangehörigkeit. Ein Verlust wiederum ist denkbar aufgrund des Vertrages von Lausanne und der ergänzenden Verordnung 2825/bis, wenn der Großvater bereits 1923/1924 auf syrischem Staatsgebiet gelebt hat, was nicht ausgeschlossen ist.

Die Staatsangehörigkeiten der Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits lassen sich heute auch nicht mehr aufklären, da sämtliche Großeltern lange verstorben sind.

Über die Zweifel der Staatsangehörigkeiten in der Großelterngeneration hinaus steht einer Einbürgerung des Klägers ungeachtet des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts zumindest deshalb keine türkische Staatsangehörigkeit entgegen, weil der türkische Staat in seiner Rechtspraxis den Kläger nicht als seinen Staatsangehörigen ansieht.

Der Kläger würde vom türkischen Staat nach dessen Regularien nur dann als türkischer Staatsangehöriger angesehen, wenn er in den türkischen Registern registriert wäre.

Eine Registrierung des Klägers lässt sich jedoch nicht feststellen. Sie ist auch äußerst unwahrscheinlich, da der Kläger unzweifelhaft in Syrien geboren ist und bis zu seiner Ausreise nach Deutschland dort gelebt hat.

Eine Registrierung des Klägers in der Türkei dürfte sich aber auch nicht nachholen lassen.

Schon nach Auskunft des türkischen Generalkonsulats an das Verwaltungsgericht Hannover vom 24.04.2007 benötigt man für eine Nachregistrierung in der Türkei unter anderem einen - internationalen - Geburtsnachweis und eine Heiratsurkunde der Eltern. Von der Notwendigkeit dieser Unterlagen für eine Nachregistrierung geht auch die 2. Kammer des Gerichts in ständiger Rechtsprechung aus (vgl. Urteile vom 02.10.2008 - 2 A 8497/06 - und vom 10.09.2008 - 2 A 4300/06 -). Dem entspricht schließlich auch die Auskunft des türkischen Generalkonsulates vom 14.09.2010 auf die Anfrage des Gerichts im bereits entschiedenen Verfahren 10 A 7588/06, wenn es dort heißt, dass - nur - im Falle eines Nachweises der türkischen Staatsangehörigkeit eines Elternteils des dortigen Klägers weitere Ermittlungen eingeleitet werden könnten.

Diese notwendigen Unterlagen dürften sich für den Kläger nicht erbringen lassen.

Eine Bescheinigung der Staatsangehörigkeit der Eltern lässt sich für die Eltern des Klägers nicht erlangen, da die Staatsangehörigkeit der vier Großeltern ungeklärt ist - und darüber hinaus mütterlicherseits syrisch sein dürfte - und die Großeltern sämtlich verstorben sind. Entsprechend lässt sich eine Bescheinigung der Staatsangehörigkeit seiner Eltern für den Kläger nicht erlangen.

Außerdem ist es für den Kläger unmöglich, eine Heiratsurkunde seiner Eltern zu erhalten. Die Eltern haben in Syrien nach yezidischem Brauch geheiratet. An dieser Angabe des Klägers zu zweifeln, besteht kein Anlass. Offensichtlich hat diese Heirat keinen Eingang in die Register in Syrien gefunden, denn die Mutter des Klägers - immerhin syrische Staatsangehörige - wird in dem Register für Syrer der Provinz Amouda immer noch als ledig geführt.

Schließlich und im Übrigen ist die Einzelrichterin der Überzeugung, dass eine Nachregistrierung yezidischer Kurden von der Türkei nicht gewollt ist (vgl. das Kammerurteil vom 20.09.2010 a.a.O.; vgl. auch die Rechtsprechung der 2. Kammer des Gerichts, Beschluss vom 17.11.2009 - 2 B 4859/09 -; Urteil vom 02.10.2008 - 2 A 8497/06 -; Urteil vom 10.09.2008, 2 A 4300/06 -) und man auch aus diesem Grunde dem Kläger etwas Unmögliches abverlangen wollte, wollte man eine Nachregistrierung weiterhin zur Voraussetzung seiner Einbürgerung machen. [...]