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EGMR verurteilt Ungarn wegen der Inhaftierung von Asylsuchenden in Transitzone und Rückschiebung nach Serbien

Zeitgleich mit der Verabschiedung eines neuen ungarischen Gesetzes, welches vorsieht, dass alle Asylsuchenden unbegrenzt in Transitzonen festgehalten werden können, verurteilte der EGMR Ungarn, weil seine Behörden zwei Asylsuchende in einer Transitzone festgehalten und nach Serbien abgeschoben hatten. Das Urteil ist auch im Rahmen von Dublin-Überstellungen nach Ungarn und Verfahren zur Abschiebung in „sichere Drittstaaten“ relevant.

In einem bedeutsamen Urteil vom 14.03.2017 in der Rechtssache Ilias und Ahmed gegen Ungarn hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgestellt, dass das Festhalten von Asylsuchenden in einer Transitzone und die Abschiebung nach Serbien gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Das Urteil erfolgte in etwa zeitgleich mit der Verabschiedung eines umstrittenen neuen Gesetzes in Ungarn, welches die Möglichkeit vorsieht alle Schutzsuchenden für die Dauer des Asylverfahrens in Transitzonen zu inhaftieren (vgl. unsere Meldung vom 17.3.2017).

Im Fall vor dem EGMR waren zwei junge Männer aus Bangladesch über Griechenland und die sogenannte Balkanroute im September 2015 nach Ungarn eingereist und hatten dort Asylanträge gestellt. Daraufhin wurden sie in einem abgeriegelten und bewachten, ca. 110 Quadratmeter umfassenden Teil der Transitzone Röszke für etwa drei Wochen festgehalten und nach Serbien abgeschoben. Ihre Asylanträge konnten als „unzulässig“ abgelehnt werden, da die ungarische Regierung Serbien 2015 als „sicheren Drittstaat“ eingestuft hat (vgl. Ungarn-Bericht von ProAsyl und bordermonitoring 2016).

Der Gerichtshof stellte fest, dass das Festhalten der Betroffenen auf dem bewachten und von außen nicht zugänglichen Gelände „de facto“ einer Inhaftierung i.S.d. Art. 5 EMRK gleichkam. Er verwarf die Argumentation der ungarischen Regierung, wonach es den Betroffenen freigestanden hätte, nach Serbien auszureisen, da sie damit ihre Asylbegehren verwirkt und sich der Gefahr der Zurückschiebung („refoulement“) ausgesetzt hätten. Da die Inhaftierung rein faktisch ohne formelle Entscheidung erfolgte, befand der EGMR einen Verstoß gegen das Recht auf Freiheit nach Art. 5 Abs. 1 EMRK. Darüber hinaus stellte er eine Verletzung des Rechts auf wirksame Beschwerde nach Art. 5 Abs. 4 EMRK fest, da es keine Haftanordnung gab, gegen die die Betroffenen gerichtlich vorgehen konnten. Obwohl der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch die Haftbedingungen verneinte, stellte er fest, dass den Betroffenen das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 i.V.m. Art. 3 EMRK verwehrt blieb, da sie keine Möglichkeit hatten die Haftbedingungen zu rügen. Schließlich befand er eine Verletzung von Art. 3 EMRK, da Ungarn nicht ausreichend gewährleistet hatte, dass die Betroffenen durch das Asylverfahren vor einer Kettenabschiebung über Serbien nach Mazedonien und Griechenland geschützt wurden. In Bezug auf letzteres verwies der EGMR auf seine Entscheidung vom 21.01.2011 in M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, wonach den Betroffenen unmenschliche Behandlung aufgrund der dortigen Lebensbedingungen für Asylsuchende gedroht habe. In Bezug auf das Asylverfahren in Ungarn, kritisierte der EGMR vor allem die schematische Anwendung der Regierungs-Liste von „sicheren Drittstaaten“, die Nichtbeachtung von Länderinformationen von internationalen Organisationen und die unfairen und überzogenen Anforderungen an die Beweislast der Betroffenen.

Diese Entscheidung ist, insbesondere nach der aktuellen ungarischen Gesetzesänderung von großer Bedeutung auch für die Praxis in Dublin-Verfahren, in denen Asylsuchende nach Ungarn überstellt werden sollen. Bisher durften Asylsuchende in Ungarn nämlich nur dann in Transitzonen verbracht werden, wenn sie in der Nähe der serbischen Grenze aufgegriffen wurden. Nunmehr könnte die Haft in Transitzonen auch Personen betreffen, die aus Deutschland nach Ungarn überstellt werden. Zudem ist das Urteil für Fallkonstellationen von Relevanz, in denen die Rückführung in einen „sicheren Drittstaat“ erfolgen soll, denn der EGMR macht hier konkrete Vorgaben für die Anwendung der sogenannten Drittstaatenregelung im Einzelfall.