Über seine Anweisung hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Vorsitzenden des Petitions- und des Innenausschusses in einem Schreiben vom 30. Dezember 2016 informiert. Grundlage seiner Maßnahme ist eine entsprechende Empfehlung, die die EU-Kommission am 8. Dezember 2016 abgegeben hat.
In der Presseerklärung der Kommission hierzu heißt es, die Kommission habe festgestellt, "dass Griechenland beträchtliche Fortschritte bei der Schaffung der grundlegenden institutionellen und rechtlichen Strukturen erzielt hat, die für ein ordnungsgemäß funktionierendes Asylsystem erforderlich sind. Allerdings sind auf dem Weg zur Wiederaufnahme der Dublin-Überstellungen noch mehrere Punkte zu berücksichtigen: so bleibt der Migrationsdruck hoch, und bestimmte Unzulänglichkeiten im griechischen Asylsystem bestehen weiterhin, u.a. was die Aufnahmebedingungen, die Behandlung schutzbedürftiger Antragsteller und die Geschwindigkeit anbelangt, mit der Asylanträge registriert und geprüft werden."
Wegen dieser Mängel und um Griechenland nicht zu überlasten, schlägt die Kommission vor, die Regelung nicht rückwirkend und nicht für alle Flüchtlingsgruppen gelten zu lassen.
- Ausgenommen davon sind alle, die vor dem 15. März 2017 irregulär in Griechenland eingereist sind, es sei denn, Griechenland wird aufgrund anderer Vorschriften aus der Dublin-Verordnung oder anderer Kriterien ab diesem Zeitpunkt für sie zuständig.
- Ausgenommen sind zunächst außerdem "alle vulnerablen Personengruppen, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger".
- Voraussetzung für die Überstellung sind "Zusammenarbeit und Einzelfallzusicherung" (Empfehlung Ziffer 10) "Vor einer Überstellung eines Asylbewerbers nach Griechenland sollten die Mitgliedstaaten eng mit Griechenland zusammenarbeiten, damit gewährleistet ist, dass die unter Ziffer 9 genannten Voraussetzungen erfüllt sind und der Asylbewerber insbesondere in einer den EU-Normen und insbesondere der Richtlinie 2013/33/EU über Aufnahmebedingungen entsprechenden Aufnahmeeinrichtung untergebracht, sein Antrag in der in der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU vorgesehenen Frist bearbeitet und er in jeder anderen Hinsicht im Einklang mit dem EU-Recht behandelt wird." Im Schreiben des Bundesinnenministers reduziert sich diese Empfehlung darauf, Griechenland soll "dem überstellenden Mitgliedstaat eine individuelle Zusicherung geben, dass die Person in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht wird, welche den Standards der Aufnahme-RiLi (2013/33/EU) entspricht."
In seinem Schreiben teilt de Maizière mit, er habe das BAMF um einen Vorschlag zur Umsetzung dieser Empfehlungen der EU-Kommission gebeten.
EU-Kommission sieht Erfolge, NGO's sprechen von "Totalversagen"
Die Griechenlandexpertin von Human Rights Watch, Eva Cossé, kritisiert die Empfehlung der EU-Kommission scharf, berichtet die britische Zeitung The Independent am 8. Dezember. Die griechischen Möglichkeiten zur Flüchtlingsaufnahme seien völlig erschöpft. "Tausende Asylsuchende werden auf den Inseln festgehalten und dürfen nicht auf das Festland weiterreisen. Die meisten leben Monate lang in von der EU finanzierten überfüllten Lagern unter katastrophalen Bedingungen, während sie auf ihr Verfahren warten." Aus Platzmangel in geeigneten Einrichtungen würden unbegleitete Kinder oft inhaftiert, manchmal zusammen mit Erwachsenen. Dublin-Rückführungen nach Griechenland wären nicht nur dem Land gegenüber unfair, das unter der massiven ökonomischen Krise leidet, sondern würden die Rechte der Flüchtlinge verletzen. Der europäische und der griechische Flüchtlingsrat haben am 15. Dezember zusammen mit weiteren griechischen Organisationen einen Protestbrief an den Präsidenten der Europäischen Kommission und den griechischen Minister für Migrationspolitik geschrieben, in dem sie die Aufnahmebedingungen auf dem griechischen Festland als nach wie vor völlig unzureichend kritisieren. Amnesty International bezeichnet den Druck der EU auf Griechenland, Flüchtlinge zurückzunehmen, als "hypercritical". PRO Asyl wirft der EU-Kommission vor, die 60.000 in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge bewusst auszublenden.
Die EU-Kommission begründet ihre Empfehlung, die Überstellungen nach Griechenlnad schrittweise wieder aufzunehemen, nicht nur mit Fortschritten des griechischen Asylsystems, sondern auch mit Fortschritten bei der Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland auf andere EU-Länder und mit dem Erfolg des EU-Türkei Abkommens.
Im September 2015 hatten die EU-Innenminister per Mehrheitsbeschluss den Haupteinreiseländern Italien und Griechenland Entlastung durch Umverteilung von Flüchtlingen zugesagt. Dem Beschluss nach sollten bis September 2017 160.000 Flüchtlinge von anderen EU-Staaten übernommen werden. Bisher wurden laut Pressemitteilung der Kommission 8.162 Personen (das sind gut 5 % der zugesagten Zahl) umverteilt. Die Chancen für die weitere Umverteilung stünden gut: "Im November wurden insgesamt 1.406 Personen umgesiedelt. Mit dieser bislang höchsten Zahl in einem Monatszeitraum bestätigt sich die anhaltend positive Entwicklung. Die Zahl der aus Griechenland umgesiedelten Personen stabilisiert sich bei rund 1.000 pro Monat, und die Umsiedlungen aus Italien haben erheblich zugenommen. Die Kommission hält es inzwischen für machbar, alle für eine Umverteilung in Frage kommenden Flüchtlinge aus Griechenland und Italien bis September 2017 in andere Mitgliedstaaten umzusiedeln." Im Gegensatz zu diesem Optimismus sprechen Pro Asyl und Amnesty International von "Totalversagen" der EU bei der Umverteilung der Flüchtlinge.
Ähnlich optimistisch wie bei der Umverteilung äußert sich die EU-Kommission in Hinblick auf das EU-Türkei-Abkommen, das von Menschenrechtsorganisationen grundsätzlich kritisiert und im übrigen als durch die politischen Entwicklungen in der Türkei gefährdet angesehen wird.
Die EU-Kommission sieht die Wiederaufnahme der Rücküberstellungen nach Griechenland als Voraussetzung für die Rekonstruktion des Dublin-Systems. "Damit nimmt die Attraktivität der irregulären Zuwanderung und Weiterreise in andere europäische Länder weiter ab, womit wir der Rückkehr zu einem normal funktionierenden Dublin- und Schengen-System einen erheblichen Schritt näher kommen."