Keine systemischen Mängel im Polen:
"1. Das Asyl- und Aufnahmesystem in Polen weist keine systemischen Mängel auf, die mit der Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einhergingen.
2. Dies gilt auch im Fall von besonders vulnerablen Personengruppen und auch unter Berücksichtigung der Flüchtlingswelle aus der Ukraine.
3. Ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK kann nicht anerkannt werden, wenn es den Familienangehörigen möglich und zumutbar ist, zur Vermeidung einer Trennung mit dem Ausländer zusammen in das gemeinsame Heimatland oder ein anderes Land zurückzukehren beziehungsweise ihm dorthin nachzufolgen.
4. Ob es dem Ausländer oder Familienangehörigen zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und die familiäre Lebensgemeinschaft in einem anderen Land zu führen, hängt maßgeblich von dem aufenthaltsrechtlichen Status des Ausländers oder Familienangehörigen im Bundesgebiet ab.
5. Eine vorübergehende Trennung kann bei Eheleuten im Einzelfall zumutbar sein.
6. Ein zwischenzeitlicher Kontakt über Fernkommunikationsmedien (z.B. gemeinsame Videotelefonate) stellt auch bei einem längerfristigen, aber dennoch vorübergehenden Trennungszeitraum eine hinreichende Kompensation dar."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
3. Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids ist auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, 3 Dublin-III VO nicht zu beanstanden, wonach ein Mitgliedsstaat zuständig wird, wenn das Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedsstaats systemische Mängel aufweist. [...]
a) Ausgehend von diesen Maßstäben ist unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage und – soweit ersichtlich – im Einklang mit der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weder im Zeitpunkt der Einreise der Klägerin nach Deutschland noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass das Asyl- und Aufnahmesystem in Polen systemische Mängel im soeben beschriebenen Sinne aufweist, die mit der Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einhergingen. Dies gilt auch im Fall von besonders vulnerablen Personengruppen und auch unter Berücksichtigung der Flüchtlingswelle aus der Ukraine [...].
Es gibt auch keine Berichte über Zugangshindernisse zum Asylverfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, können bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. Eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird der Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft [...].
Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass ihr in Polen erklärt worden sei, dass sie umgehend in ihr Heimatland abgeschoben werde (Bl. 30 d. Gerichtsakte zu 6 L 1422/23.KS.A), ist auch dies unsubstantiiert. Eine Weiterabschiebung führt zu keinem anderen Ergebnis, sie ist vielmehr dem Asylverfahren bei Ablehnung des Begehrens immanent (ständige Rechtsprechung der Kammer, etwa Urt. v. 17.04.2023, 7 K 77/22.KS.A). Auch widerlegen die individuellen Erlebnisse eines Betroffenen nicht die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber und Schutzberechtigten in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Sie stellen schon keine objektiven Angaben dar, ihr Erkenntniswert ist zudem gering (HessVGH, Beschl. v. 13.02.2023, 8 A 427/20.Z.A.; VG Frankfurt/Oder, BeckRS 2021, 19221 Rn. 16). [...]
4. Auch aus Art. 17 Abs. 1 Satz 1, 2 Dublin III-VO folgt entgegen den nur im Rahmen einer summarischen Prüfung erfolgten Ausführungen des VG Kassel im Beschluss vom 19.09.2023 (6 L 1422/23.KS.A) keine Zuständigkeit der Beklagten. Die Klägerin hat insbesondere keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO aus familiären Gründen. Denn das Selbsteintrittsrecht der Beklagten hat sich nicht zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet. [...]
Es ist schon nicht ausreichend dargelegt, dass zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann eine tatsächlich gelebte, innige Familiengemeinschaft vorliegt. Auch hat der Ehemann der Klägerin bereits kein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet (VG Kassel, Urt. v. 27.03.2024 – 7 K 27/21.KS, n.v. mit dem der Asylantrag des Ehemannes der Klägerin als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde). Darüber hinaus ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die familiäre Gemeinschaft nicht auch in Nigeria gelebt werden könnte. Selbst wenn man anderer Auffassung sein sollte, erachtet das Gericht eine vorübergehende Trennung für zumutbar. Die Klägerin und ihr Mann waren bereits kurz nach Ihrer Hochzeit Ende 2013/Anfang 2014 bis ins Jahr 2023 getrennt und hatten nach Angaben des Ehemannes in seinem Asylverfahren in dieser Zeit auch keinerlei Kontakt zueinander (VG Kassel, Urt. v. 27.03.2024 – 7 K 27/21.KS, n.v.). Ebenfalls stellt ein zwischenzeitlicher Kontakt über Fernkommunikationsmedien (z.B. gemeinsame Videotelefonate) auch bei einem längerfristigen, aber dennoch vorübergehenden Trennungszeitraum eine hinreichende Kompensation dar. Sollte der Klägerin internationaler Schutz in Polen zuerkannt werden, wäre es ihr möglich im Rahmen des Familiennachzugs eine Zusammenführung zu erreichen. Sollte der Asylantrag in Polen abgelehnt werden, müsste sie ohnehin nach Nigeria zurückkehren. [...]