OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.11.2017 - 10 LA 140/17 - asyl.net: M25642
https://www.asyl.net/rsdb/M25642
Leitsatz:

Zurückweisung eines Berufungszulassungsantrags des BAMF:

1. Das bloße Zitieren von Rechtsprechung, die den Standpunkt des Zulassungsantragstellers stützt, genügt den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gem. § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG nicht.

2. Eine im Eilverfahren vorläufig getroffene Entscheidung begründet nicht die Möglichkeit, sich im Rahmen des Zulassungsantrags auf divergierende Rechtsprechung gem. AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zu berufen.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Dublinverfahren, Bulgarien, Grundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge,
Normen: AsylG 78 Abs. 4 S. 4, 4 AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Gemessen daran hat die Beklagte die Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt. Die Beklagte wendet sich allein unter Berufung auf die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2017 (2 ME 63/17) gegen das angefochtene Urteil. Die bloße Zitierung von Rechtsprechung, die den Standpunkt des Zulassungsantragsstellers stützt, genügt indes -- wie ausgeführt - den Anforderungen an die Darlegung nicht.

2. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen einer Abweichung von einer Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zuzulassen.

Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist die Berufung zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung liegt vor, wenn sich das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung eines der genannten Divergenzgerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat. Dabei muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht den Rechtssatz des Divergenzgerichts, ohne ihm inhaltlich zu widersprechen, in dem zu entscheidenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die Folgerungen gezogen hat, die für die Sachverhalts und Beweiswürdigung geboten sind (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 05.10.2015 - 8 LA 115/15 -, juris Rn. 6 m.w.N.).

Es fehlt hier bereits an einer "Entscheidung" im genannten Sinne. Die Beklagte verweist zwar zu Recht darauf, dass eine Entscheidung auch in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergehen kann. Erforderlich ist aber, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz nicht nur als Ergebnis einer kursorischen, "summarischen" Prüfung, sondern einer abschließenden Prüfung aufgestellt wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.09.2013 - 3 S 1727/13 -, juris Rn. 3). Steht - wie vorliegend - die Ermittlung von Tatsachen bei einer sich ständig verändernden Sachlage im Vordergrund, ist eine abschließende Prüfung in zeitlicher Hinsicht nicht möglich. Jede Beurteilung der Sachlage verliert aus der Natur der Sache heraus rasch an Aktualität. Eine Entscheidung ist dann aber nur divergenzfähig, wenn das Gericht auf der Grundlage der seinerseits verfügbaren Erkenntnismittel eine zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung umfassende und insofern abschließende Entscheidung trifft. So liegen die Dinge hier aber nicht.

Der 2. Senat des Niedersächsischen OVG hat im Eilverfahren zum Geschäftszeichen 2 ME 63/17 am 10. März 2017 (S. 10 des Beschlusses) entschieden, dass "ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach derzeitiger Erkenntnislage nicht festzustellen ist" (S. 10 des Beschlusses). Er hat zugleich darauf verwiesen, dass eine Entscheidung in der Hauptsache noch ausstehe und er eine Beweiserhebung in Aussicht genommen habe, um die bereits vorliegenden Erkenntnismittel zu aktualisieren (S. 17 des Beschlusses). Damit hat der 2. Senat seine Einschätzung der Sachlage selbst unter den Vorbehalt der späteren Korrektur gestellt. Wie der 2. Senat ausgeführt hat, musste er im Eilverfahren notwendigerweise auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel eine vorläufige Entscheidung treffen und standen ihm aktualisierte Erkenntnismittel nicht zur Verfügung.

Der zitierte Beschluss ist somit gerade keine Entscheidung, in der der Senat nach umfassender Würdigung aller aktuellen Erkenntnismittel eine - zum damaligen Zeitpunkt - abschließende Einschätzung der Lage von anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien treffen konnte. [...]